Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder, Generaldirektor der ALBERTINA: Ein Museum ist jedoch mehr als sein Ausstellungsbetrieb

Es ist neun Monate her, seit die Corona-Pandemie die Welt, wie wir sie alle bis dato kannten, aus der Bahn geworfen hat. Die durch das Sars-Cov-2-Virus verursachte Pandemie hat die Weltwirtschaft beeinflusst, Spuren in jeder Branche hinterlassen und vor allem den Kunstsektor negativ beeinflusst.

Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder, © Albertina

Man könnte sagen, dass alle Regierungen der Welt darum kämpfen, so wenig menschliche Opfer wie möglich zu verzeichnen, die Binnenwirtschaft zu retten, medizinische Versorgung bereitzustellen und ihre Bürger so gut wie möglich zu schützen – und in diesem Kampf bleibt die Kunst fast am Rande zurück.

Alle Teilbereiche der Kunst spüren diese Krise, und unter ihnen sind die Museen diejenigen, die es am meisten auf ihrer Haut gespürt haben.

Wie sich diese durch die Pandemie verursachte Krise auf die Museen auswirkte, darüber haben wir exklusiv für das Diplomacy and Commerce Austria Magazin mit dem angesehenen Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder, Generaldirektor der ALBERTINA, gesprochen.

Kurz vor der Eröffnung der Albertina Modern, die für März dieses Jahres geplant war, kam es durch das Sars-Cov-2-Virus verursachten Pandemie zu einem Lockdown und beide Albertina Museen mussten schließen bzw. geschlossen bleiben. Inwieweit wirkte sich der Lockdown auf das Geschäftsjahr der Albertina aus?

Den Einnahmenentfall kann ich aufgrund der erneuten Schließung nicht ganz genau beziffern, aber wir müssen voraussichtlich mit etwa 12 Mio. Euro Verlust rechnen. Die Inanspruchnahme der Kurzarbeit hat rund 900.000 Euro gebracht, vom Coronafonds haben wir 2,8 Mio. Euro erhalten und über 6 Mio. Euro haben wir durch Absagen und Verschiebungen zudem einsparen können.

Normalerweise haben wir über 1 Mio. Besucher pro Jahr, heuer werden es höchsten 300.000 sein. Allein in den vergangenen acht Tagen vor der Schließung haben die beiden Standorte der Albertina jedoch 15.000 Besucher verzeichnet, da sowohl die Eröffnungsschau in der Albertina Modern als auch „Van Gogh, Cézanne, Matisse. Die Sammlung Hahnloser“ kurz vor dem Ende standen. Es blutet mir aber das Herz, dass diese Ausstellungen nun nicht bis zum Ende der Laufzeit besucht werden können. Aufgrund des Lockdowns rechnen wir nun auch mit höheren Kosten bei der Rückführung der 70 internationalen Leihgaben. Der Besucherandrang der vergangenen Tage hat das vitale Bedürfnis der Bevölkerung belegt, an einem außergewöhnlichen Kulturerlebnis teilnehmen zu können: ein offensichtlich notwendiges Ventil in diesen schweren Zeiten.

© Albertina, Wien / Foto: Harald Eisenberger

Viele Museen auf der ganzen Welt boten während des Lockdowns einen virtuellen Rundgang durch das Museum an. Glauben Sie, dass es dadurch Potenzial für zukünftige Museumsgeschäfte gibt?

Wir arbeiten derzeit intensiv an neuen Formaten der Vermittlung und testen Online-Führungen, digitale Ausstellungsrundgänge und erweitern unser Videoangebot. Die Sammlungen Online haben im Frühjahr einen Relaunch erfahren, hier kann man auf dem neuesten Stand der Technik in unseren Beständen recherchieren. Bei Social Media haben wir ein sehr gutes Angebot und sind international bestens aufgestellt. All das ist wichtig, um relevant zu bleiben, kann jedoch für mich die Konfrontation mit dem Original-Kunstwerk nicht ersetzen.

Wie wirkt sich die „neue Normalität“ auf das Geschäft der Albertina-Museen aus, nachdem Museen ja im Rahmen von Pandemiemaßnahmen nicht mehr für das Publikum geöffnet sein dürfen?

Ich bin enttäuscht und traurig darüber, dass die Museen entgegen dem Entwurf der Verordnung nun doch geschlossen werden müssen. Es wurde verabsäumt, die Voraussetzungen differenziert zu betrachten. Gerade die Museen haben sich in den vergangenen Monaten vorbildlich verhalten. Die Albertina hat, ohne gesetzliche Vorgaben, noch im Juli bei niedrigen Infektionen, die ausnahmslose Maskenpflicht eingeführt und den Mindestabstand von einem Meter garantieren können. Diese Maßnahmen wurden bereits im Sommer vom Publikum sehr gut angenommen. Zudem wurde nicht berücksichtigt, dass unsere Lüftungs- und Klimaanlagen alle 5 bis 10 Minuten den Sauerstoff einer Galerie komplett austauschen.

Ein Museum ist jedoch mehr als sein Ausstellungsbetrieb. Die Forschung läuft weiter und wir arbeiten schon jetzt intensiv am Aufbau der Folgeausstellungen und Katalogen für 2021.

© Albertina, Wien / Foto: Jeanne und Donald Kahn Galleries

Die Pandemie hat eine fast unglaubliche Wende gebracht, wenn es um Museen in Ländern geht, die sogenannte liberale Kulturpolitik betreiben. So wurde kürzlich in den Vereinigten Staaten die Entscheidung getroffen, Museen den Handel mit Werken aus ihren eigenen Sammlungen zu ermöglichen. Eine Praxis, die nach dem “Code of Ethics” (International Museum Council) vom ICOM als Schlüsseldokument, das die Pflichten und Rechte eines Museums definiert, strengstens verboten ist. Wie ist Ihre Meinung über diese Art von Geschäften?

Es bestand und besteht völliger Konsens darüber, dass Verkäufe nur zum Wiedererwerb dienen sollen. Ich bin der Letzte, der jetzt mit Steinen wirft. Diese geschahen aus größter Not, dafür habe ich Verständnis. Es war wie der so genannte Mundraub von der Not getrieben, auch dieser wird nicht bestraft. Wir befinden uns mitten in einer Gesundheitskrise, die eine Wirtschaftskrise nach sich ziehen wird.

Die erwähnte Entscheidung wurde getroffen, damit die Museen die wachsende Wirtschaftskrise mit Hilfe ihrer eigenen Ressourcen überstehen können,  indem sie Kunstwerke aus ihren Sammlungen verkaufen können. Kürzlich verkaufte das Brooklyn Museum of Art neun der zehn in New Yorks “Christie’s” versteigerten Werke, darunter “Lucrezia”, ein Meisterwerk von Lucas Cranach Senior aus dem 16. Jahrhundert, das dem Museum 6,6 Millionen US-Dollar einbrachte. Können Sie sich so etwas in Österreich vorstellen?

Wir müssen uns diese Frage zum Glück nicht stellen, das ist in Europa heute undenkbar. Bis in die 1960er wurden jedoch noch tausende Werke aus unserer Sammlung verkauft. Dies wäre auch legal, der Finanzminister kann als Eigentümer des Museums grundsätzlich Werke aus dem Bundesbesitz veräußern. Und auch wir könnten genauso Werke, die wir als Wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts nach 1999 als Schenkung erhalten oder erworben haben, veräußern. Vor dieser Frage stehen wir jedoch nicht im Entferntesten.

Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder / © Albertina, Wien Foto: Christopher Mavric

Bei der Auktion bei “Sotheby’s” in New York wurde bekannt gegeben, dass Werke von Monet, Degas, Miró, Mathis und einigen anderen berühmten Künstlern, die aus Museumsbestand kommen, bald angeboten werden. Denken Sie, dass diese Art der Mittelbeschaffung wertvolle und wichtige Kunstwerke für immer der Allgemeinheit wegnimmt, sie vor den Augen der Menschheit versteckt und damit das Geschäft dieses Museums in Zukunft schmälert?

Es gibt Sammler, die Kunstwerke als Spekulationsobjekt begreifen und es gibt Sammler, die Ihren Reichtum durch Kunstwerke mit der Welt teilen. Man muss heute Sammler sammeln, weil die Preise der zeitgenössischen Kunst derart ins unermessliche gestiegen sind, dass ein Ankauf von erstklassigen Werken für ein Museum nur in den seltensten Fällen leistbar ist. Wir erhalten Schenkungen von berühmten Künstlerinnen und Künstlern, weil wir als Institution Ewigkeit versprechen können. Und private Sammlungen wie Batliner, Essl oder zuletzt Jablonka sind aufs engste mit unserem Haus verbunden und ermöglichen Millionen Besuchern die Begegnung mit herausragenden Werken der Moderne und Gegenwart. Doch zur Frage des Versteckens darf man sich nicht täuschen: Wir sind als Museum in erster Linie ein Wissensspeicher und zeigen im Ausstellungsbetrieb nur einen kleinen Teil unserer 1,1 Millionen Werke umfassenden Sammlung regelmäßig.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft der Albertina? 

Die Albertina Modern ist vom Wiener Publikum in den letzten Monaten  sehr gut angenommen worden. Ich freue mich, wenn die Folgeausstellungen auch international für ein gutes Echo sorgen. Ich stehe mitten in den Vorbereitungen von „The Essl Collection“ und weiteren Ausstellungen, gemeinsam mit der neuen Chefkuratorin Angela Stief. Ich möchte beide Häuser sicher durch die Krise bringen und weiterhin hochkarätige Ausstellungen realisieren.

Wie laufen die Vorbereitungen für die mit Sehnsucht erwartete Modigliani-Ausstellung? 

Leider musste die Ausstellung auf Herbst 2021 verschoben werden, alle Leihgeber waren sehr verständnisvoll und kooperativ. Ich denke ein Bahnbrecher wie Amedeo Modigliani verdient es, einem großen Publikum zugänglich zu sein, das ist aufgrund der Reisebeschränkungen jedoch vorerst nicht möglich. Auch die Ausstellung „Munch und die Folgen“ wird neu geplant und statt Frühjahr 2021 erst 2022 stattfinden.

Was erwartet Kunst- und Albertina-Liebhaber im Jahr 2021?

Wir werden im Frühjahr Retrospektiven der beiden bedeutenden zeitgenössischen Künstlerinnen Michela Ghisetti und Xenia Hausner präsentieren. Sie waren schon mehrfach bei Sammlungspräsentationen vertreten und bekommen nun eine große Bühne. Im Bereich der Fotografie zeigen wir mit „Faces“ Meisterwerke von Lerski und Sander aus der Zwischenkriegszeit und im Sommer den japanischen Fotografen Araki. Aus unseren eigenen Sammlungen wird es ausgehend von Schiele und Michelangelo spektakuläre Präsentationen zu sehen geben – am Programm tüfteln wir derzeit noch.

Prof. Dr. Schröder über den Terror Anschlag:

Herausfordernd war die Situation in der Albertina selbst, wo fast 100 Personen – MitarbeiterInnen unseres Museums, die noch spät abends gearbeitet haben, Gäste des Do&Co sowie Besucher einer Vorführung des Filmmuseums – bis weit nach Mitternacht im Harriet Hartman Court der verbarrikadierten Albertina ausharren mussten, ehe sie geschlossen und von der Polizei sicher eskortiert außerhalb der Innenstadt gebracht wurden. Die Arbeit in einem Museum, für die Kunst, ist Arbeit für das Beste im Menschen: für Freiheit, Gleichheit, für Gerechtigkeit.

Text: Svetlana Nenadovic-Glusac