Eröffnung der Ausstellung »Entfernung – Österreich und Auschwitz«

Gemeinsame Reise des Herrn Bundespräsidenten und von Frau Doris Schmidauer
mit Herrn Präsidenten des Nationalrates zur Teilnahme an der Eröffnung der neuen österreichischen Länderausstellung im staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau

Rede von Alexander Van der Bellen anlässlich der Eröffnung der neuen österreichischen Länderausstellung »Entfernung – Österreich und Auschwitz«.

Sehr geehrter Herr Direktor Piotr M. A. Cywiński!

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka!

Werte Ehrengäste!

Meine Damen und Herren!

Der Rassismus und Antisemitismus der Nationalsozialisten ist nicht vom Himmel gefallen. Die Konzentrations- und Vernichtungslager sind nicht vom Himmel gefallen. ‘Auschwitz’ ist nicht vom Himmel gefallen.

Denken wir nur an Karl Lueger, der von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister war. Und zugleich glühender Antisemit, der Zuwanderergruppen gegeneinander ausspielte. Zu Recht wurde übrigens der Dr. Karl-Lueger-Ring im Juni 2012 in Universitätsring umbenannt.

Antisemitismus und Rassismus waren in der österreichischen Gesellschaftschon vor dem März 1938 sehr präsent. Der Boden war bereitet, der Samen war gesät, als Nazideutschland im März 1938 unter vieltausendfachem Jubel am Heldenplatz in Österreich einmarschierte. Und die Saat ging auf.

Während die einen noch jubelten,wurden anderen die Türen eingetreten. Im Zuge der Novemberpogrome 1938, dem geplanten, gewalttätigen Vorgehen gegen Jüdinnen und Juden, gegen jüdische Geschäfte, Synagogen und Bethäuser sowie anderen jüdischen Einrichtungen wurden zahlreiche Juden ermordet,  viele nahmen sich das Leben. Und Nachbarn, die zuvor friedlich mit Jüdinnen und Juden zusammengelebt hatten, wurden plötzlich Täter, die sich an jüdischem Vermögen bereicherten.

Aus der Abwertung wurde Entwürdigung und Diskriminierung, schließlich Entmenschlichung und Ermordung. Und all das gipfelte im systematischen, mit industriellen Methoden durchgeführten Völkermord, dem Holocaust,  für den das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zum Symbol geworden ist.

1,1 Millionen Menschen wurden hier von den Nationalsozialisten ermordet, darunter auch zehntausende Menschen aus Österreich, in der Mehrzahl Jüdinnen und Juden, aber auch Roma und Sinti, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, politisch Verfolgte, Widerstandskämpfer und Deserteure,  Kriegsgefangene aus der Sowjetunion, Vertreter der polnischen Intelligenz.

Und auch, wenn Österreich als Staat nicht mehr existierte, sondern als “Ostmark” Teil des sogenannten Dritten Reiches war,  so waren doch viele Menschen unseres Landes,  teils an führender Stelle, unter den Tätern und Täterinnen in diesem Vernichtungsprogramm.

Wir alle kennen diese Geschichte und doch war es lange Zeit Staatsdoktrin, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus sei. Unter Ausblendung der Vorgeschichte und der Täter- und Täterinnenschaft  vieler Menschen unseres Landes.

Das spiegelte sich auch in der 1978 eröffneten ersten österreichischen Ausstellung wider, die in diesem Sinne ein Kind ihrer Zeit war. Allerdings spiegelte sie auch die persönliche Opfer-Erfahrung jener wider, die einst Insassen des Lagers Auschwitz-Birkenau gewesen waren und maßgeblich zur Gestaltung der Ausstellung beigetragen hatten.

Insgesamt wurde sie jedenfalls von vielen Seiten, sowohl national als auch international, zu Recht als nicht mehr zeitgemäß betrachtet. An ihre Stelle tritt heute nach langem Vorlauf die neue österreichische Ausstellung mit dem Titel “Entfernung – Österreich und Auschwitz”. Sie soll die Erinnerung  an das Schicksal der österreichischen Opfer und den Widerstand von österreichischen Häftlingen wachhalten und zugleich die Involvierung von Menschen unseres Landes als Täter und Täterinnen darstellen.

Gemeinsame Reise des Herrn Bundespräsidenten und von Frau Doris Schmidauer
mit Herrn Präsidenten des Nationalrates zur Teilnahme an der Eröffnung der neuen österreichischen Länderausstellung im staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau

Meine Damen und Herren!

Es ist unser Wille und unsere Verpflichtung, die Erinnerung an die Opfer zu bewahren. Und es ist unser Wille und unsere Verpflichtung, daran zu erinnern, dass nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter und Täterinnen Teil unserer Gesellschaft waren und von ihr geprägt waren. Insoferne trägt Österreich “Mitverantwortung für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben”, wie das Bundeskanzler Franz Vranitzky 1991 vor dem Nationalrat einbekannte.

Gemeinsame Reise des Herrn Bundespräsidenten und von Frau Doris Schmidauer
mit Herrn Präsidenten des Nationalrates zur Teilnahme an der Eröffnung der neuen österreichischen Länderausstellung im staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau

Dem Andenken der Opfer des Holocaust werden wir nur gerecht, wenn wir dafür sorgen, dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken und Gewalt niemals wieder als politisches Instrument eingesetzt werden.

  • ‚Niemals wieder‘ bedeutet, dass wir uns jeglichem Versuch der Zerstörung des Rechtsstaates und der liberalen Demokratie entschieden entgegenstellen und die Grund- und Freiheitsrechte verteidigen.
  • ‚Niemals wieder‘ bedeutet, sich den Versuchen nationalistischer Selbstüberhöhung entgegenzustellen und für ein gleichberechtigtes Miteinander einzutreten.
  • ‚Niemals wieder‘ bedeutet aber vor allem: keine Toleranz gegenüber Rassismus, keine Toleranz gegenüber Antisemitismus.

Denn:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde geboren!

(bundespraesident.at)

Fotos: Carina Karlovits/HBF