ALBERTINA Ausstellung: Roy Lichtenstein – Zum 100. Geburtstag

Roy Lichtenstein / Wir standen langsam auf, 1964 / Öl und Acryl auf Leinwand / MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, Frankfurt, Ehemalige Sammlung Karl Ströher, Darmstadt (DE) © Nachlass Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024

Anlässlich seines 100. Geburtstagsjubiläums feiert die ALBERTINA den Pop-Art-Meister Roy Lichtenstein (1923–1997, New York), mit einer großen Retrospektive. Sie umfasst um die 100 der schönsten und bedeutendsten Gemälde, Skulpturen und Papierarbeiten von den Anfängen der Pop[1]Art in den 1960er Jahren bis zum Spätwerk, mit großzügigen Leihgaben der bedeutendsten europäischen und U.S.-amerikanischen Museen und Privatsammlungen, wie der National Gallery, Washington, dem Museum of Modern Art und Whitney Museum, New York oder der Yale University Art Gallery, New Haven.

Pop Art: Ein Angriff auf die Konvention

Roy Lichtenstein kehrt in den 1960er Jahren – noch während der Hochblüte des abstrakten Expressionismus – zu einer gegenständlichen, selbstreflexiven Kunst zurück und reißt mit viel Ironie die Grenzen zwischen hoher Kunst und Alltagskultur nieder. Look Mickey ist ein Angriff auf die Konvention: Einfache Comicbilder und Werbeinserate werden in die monumentale Form von Historienbildern gegossen, was einer Attacke auf die Würde der Kunst gleichkommt. Comics und erst recht Produktwerbungen in Zeitungen und Telefonbüchern gelten als nicht kunstwürdig. Lichtenstein isoliert und monumentalisiert den Comic und holt ihn ins Museum – eine absurde und ironische Geste, die er dem Vorurteil der Abgehobenheit entgegensetzt, das die Konsumgesellschaft von der modernen Kunst hat: “Ein derart in Verruf geratenes Sujet wie Donald Duck oder Micky Maus auszusuchen und dann daraus ein Kunstwerk zu machen hatte etwas Absurdes, Komisches an sich. Vorher war man in der Kunst ernsthafter gewesen”, so Lichtenstein.

Roy Lichtenstein / Tapete mit Interieur mit blauem Fußboden, 1992 / Siebdruck auf Papier ALBERTINA, Wien © Nachlass Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024 / Foto: ALBERTINA, Wien

Auf die Frage “Was ist Pop Art?” antwortet Roy Lichtenstein 1963:

“Der Einsatz von Werbegrafik als Inhalt der Malerei. Es war schwer, ein Bild zu finden, das mir abstoßend genug erschien, um die schamlosesten und bedrohlichsten Wesensmerkmale unserer Kultur zu thematisieren: Dinge, die wir zwar ablehnen, die aber übermächtig sind, wie Werbeschilder und Comics.”

Trotz mehr oder weniger ernsthaft gemeinter Plagiatsvorwürfe und heftiger Besucherproteste ist seine erste Ausstellung 1962 in der Galerie Leo Castelli in New York noch vor der Eröffnung ausverkauft. Lichtenstein wird quasi über Nacht berühmt und verhilft der amerikanischen Pop Art zum Durchbruch. Mit Andy Warhol und Jackson Pollock gilt er heute als einer der drei populärsten und berühmtesten U.S.-amerikanischen Künstler. Außerdem wurde er zum einflussreichsten Vorläufer der Appropriation Art und zum Vorreiter der Verschmelzung von High und Low Art in der Gegenwartskunst.

Lichtensteins Kunst ist keineswegs moralisierend, aber affirmativ ist sie auch nicht. Sie spiegelt eine in den 1960er-Jahren bereits ambivalente Haltung gegenüber der Bildmaschinerie der Werbeindustrie wider, deren Ästhetik Lichtenstein ins Feld der Kunst und ins Museum holt.

Roy Lichtenstein / Ertrinkendes Mädchen, 1963 / Öl und Acryl auf Leinwand / The Museum of Modern Art, New York, Philip Johnson Fund (by exchange) and gift of Mr. and Mrs. Bagley Wright © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024 / Foto: The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence

“Mir geht es darum, eine Art von Anti-Sensibilität zu porträtieren, die die Gesellschaft durchdringt. Ein Großteil unserer Kommunikation wird von der Werbung bestimmt. Unsere gesamte Umgebung scheint von dem Wunsch beherrscht zu sein, Produkte zu verkaufen. Das ist die Landschaft, die ich porträtieren möchte. Ich interessiere mich aber nicht für diese Thematik, um der Gesellschaft etwas beizubringen oder um unsere Welt zu verbessern”, so Lichtenstein.

 

Das Ende des Pathos in der Kunst

Jeden Niederschlag eines Temperaments, jede Äußerung einer politischen Haltung zu unterbinden ist Teil seines höchst formalistischen Konzepts: Lichtensteins Bilder sollen aussehen, als ob eine Maschine sie hergestellt hätte. Er imitiert das Erscheinungsbild des billigen und schnellen Massendruckverfahrens, das zu seinem Markenzeichen wird: Seine Bildsprache kennt nur wenige Umrisslinien und Primärfarben sowie die monotonen Rasterpunkte – die durch ihn erst berühmt gewordenen “Ben-Day-Dots”, die Rasterpunkte für die Tonwerte der Grafikvorlage im Druck, benannt nach ihrem Erfinder Benjamin Day. Lichtenstein bringt sie mit Schablonen auf seine Leinwände auf, ab 1963 stellt er für diese Prozedur Assistenten an. Der Grund, warum die ersten Ausstellungen die Kunst der Pop Art und mit jener des Minimalismus vereinten, liegt – bei allen Unterschieden in dem was auf den Bildern dargestellt ist – in ihrem gemeinsamen Nenner: Antisubjektivismus, Serialität und industrielle Fertigung. Sie glauben nicht mehr an das Pathos des subjektiven Ausdrucks, der Emotionalität des Künstlers und der Echtheit seiner Gefühle.

 

“Mir geht es darum, eine Art von Anti-Sensibilität zu porträtieren, die die Gesellschaft durchdringt. Ein Großteil unserer Kommunikation wird von der Werbung bestimmt. Unsere gesamte Umgebung scheint von dem Wunsch beherrscht zu sein, Produkte zu verkaufen. Das ist die Landschaft, die ich 5 porträtieren möchte. Ich interessiere mich aber nicht für diese Thematik, um der Gesellschaft etwas beizubringen oder um unsere Welt zu verbessern”, so Lichtenstein.

Nachdem er den Comic ins Feld der Kunst transferierte, malt er ab Mitte der 1960er Jahre minimalistische Landschaften auf Emailletafeln, einem schmutzabweisenden witterungsbeständigen Material für die Schilder der Geschäfte oder Subway. Die Wahl eines solchen glänzenden, reflektierenden Materials als Träger eines Kunstwerks und in einem Innenraum ist völlig absurd und grotesk.

Lichtenstein spielt mit der Macht der Klischees, von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie von Kunst. Er greift die Bildsprache der Werbeinserate und Comicromane der populären Massenkultur auf, die von der Wiederholung der immer gleichen, standardisierten Stereotypen lebt, und eignet sie sich an. Mit der Migration ins Feld der Kunst verändert sich das Motiv vollkommen. Die Vergrößerung, Isolierung, Objektivierung und der Antisubjektivismus abstrahieren es, verwandeln das kunstunwürdige Sujet in ein Kunstwerk voller Harmonie und Schönheit – womit er die klischeehaften Erwartungen an Kunst verletzt und einen Tabubruch begeht. Später eignet er sich in dem mittlerweile zu seinem Markenzeichen gewordenen Comicstil Werke der Kunstgeschichte von Picasso bis Dalí an, oder gießt Pinselstriche à la Jackson Pollock in Bronze – macht sie lächerlich.

Die Ausstellung

Die “Centennial Exhibition” bietet einen umfassenden Einblick in Roy Lichtensteins Schaffen und spannt den Bogen von seinen frühen Pop-Gemälden der 1960er-Jahre, darunter die Ikone der Pop-Art Look Mickey, bis zum Spätwerk. Die Ausstellung beginnt mit ca. 30 frühen Pop-Art-Gemälden nach Comics und Werbeinseraten, darunter Look Mickey (1961), Drowning Girl (1963) sowie Large Spool und Ball of Twine, beide 1963. Die Ausstellung führt weiter durch Lichtensteins Landschaften auf Emaille-Schildern. Seine Kunst[1]nach-Kunst-Bilder nach Picasso, Dalí oder Pollock sowie seine späten Interieurs, Frauenakte und noch eher unbekannten Skulpturen sind ebenfalls Bestandteil der Schau. Außerdem zeigen wir seine Keramik- und Bronze-Skulpturen sowie ausgewählte Zeichnungen und seine Vorlagenhefte, in denen er seit den 1960er Jahren von ihm ausgeschnittene Comics und Werbeinserate sammelte.

Die bedeutendsten Museen dieser Welt sowie zahlreiche internationale Privatsammler haben diese Centennial Exhibition großzügig unterstützt: Hauptwerke stammen aus dem New Yorker Museum of Modern Art und dem Whitney Museum, der National Gallery of Art (Washington), der Yale University Art Gallery (New Haven), dem Museum Ludwig (Köln), dem Louisiana Museum (Humlebæk), der Tate 6 (London), dem Moderna Museet (Stockholm), dem Museo Thyssen-Bornemisza (Madrid) und vielen mehr.

Schenkung der Roy Lichtenstein Foundation

Generaldirektor Klaus A. Schröder:

„Besonders dankbar bin ich, dass die Roy Lichtenstein Foundation neben dem Whitney Museum, New York, und dem Nasher Sculpture Center, Dallas, die ALBERTINA als drittes Museum ausgewählt hat, dem es einen wesentlichen Teil der Bestände der Roy Lichtenstein Foundation schenkt. Die Schenkung wurde 2023 der Albertina übergeben. Sie umfasst 95 Objekte, wie Pinselstrich-Skulpturen und Skulpturenmodelle für Projekte im öffentlichen Raum, Vorzeichnungen und Collagen sowie Teppiche und Keramiken. Ich danke Dorothy Lichtenstein aus tiefstem Herzen für die große Unterstützung dieser Ausstellung.“

Diese Ausstellung wurde mit Unterstützung von und in Zusammenarbeit mit der Roy Lichtenstein Foundation und dem Roy Lichtenstein Estate realisiert.

Roy Lichtenstein / Ich weiß, wie du dich fühlst, Brad …, 1963 / Öl, Acryl und Bleistift auf Leinwand / Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024

ALBERTIINA MUSEUM / 8. März – 14. Juli 2024