Michail Vrettakis, Wirtschafts- und Handelsrat Griechenlands: Unser größtes Interesse besteht darin, nicht das erste, sondern das sicherste Reiseziel zu sein

Die Covid-19-Pandemie hat zu beispiellosen Herausforderungen bei den laufenden operativen Aktivitäten der globalen Industrie, dem Handel und der Wirtschaft geführt. Die Weltwirtschaft wurde für mehrere Monate gezwungen, auf die Notbremse zu treten.

Michail Vrettakis, Wirtschafts- und Handelsrat der Botschaft der Hellenischen Republik in der Republik Österreich

Durch die restriktiven Maßnahmen und den Lockdown,den die Regierungen rund um den Globus durchgeführt haben, wurde die Wirtschaft in einen Winterschlaf versetzt.

Vorsichtig wird die Wirtschaft in jedem Land wieder hochgefahren. Alle Wirtschaftszweige sind von der Krise – ausgelöst vom Coronavirus – davon betroffen, ohne Ausnahme.

Wie hat sich die Krise auf die Weltwirtschaft ausgewirkt und wie sind die Prognosen für die Zukunft? Darüber haben wir mit Wirtschaftsexperten und Vertretern der ausländischen Wirtschaftskammern in Wien, sowie HandelsvertreterInnen aus Handelsabteilungen und Wirtschaftsdelegierten aus der Diplomatie in Österreich gesprochen.

Wir sprachen für Diplomacy and Commerce Austria mit Michail Vrettakis, Wirtschafts- und Handelsrat der Botschaft der Hellenischen Republik in  der Republik Österreich.

 

Wie schätzen Sie die Lage ein? Stehen wir vor einer ernsthaften Krise, die lange andauern wird, oder vor einer raschen Erholung der Wirtschaft?

Es ist eine Tatsache, dass die epidemiologische Krise die Lieferkette von Produkten aufgrund des “plötzlichen Unternehmensterbens” in den Bereichen Gastronomie, Hotelbranche und großen Teilen des Einzelhandels stark beeinträchtigt hat. In Folge dessen erlitt die Weltwirtschaft einen schweren Vertrauensverlust und einen Einbruch in ihrer Wirtschaftstätigkeit und auf den Märkten.

Mit dem Neustart der Unternehmen und der Öffnung der Grenzen kehrt nun schrittweise die Normalität auf wirtschaftlicher Ebene zurück, insbesondere in Ländern mit einer geringen Ansteckungsrate (RO), wie z.B. Griechenland und Österreich.

Alle internationalen Wirtschaftsorganisationen sowie nationale Studien gehen davon aus, dass es in diesem Jahr zu einer tiefen Rezession in den Volkswirtschaften kommen wird. Jedoch wird für 2021 auch eine starke Erholung erwartet, die die Verluste der betroffenen Bereiche erheblich eingrenzen und die Beschäftigung fördern wird.

Inwieweit haben die staatlichen Maßnahmen Ihres Landes bisher dazu beigetragen, die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft durch die COVID-19-Pandemie zu verringern?

Griechenland hat sofort Maßnahmen ergriffen, um die Unternehmen zu unterstützen und die Beschäftigung zu fördern. Auf Basis von nationalen und europäischen Finanzinstrumenten wurde eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, wie z.B. Sonderzahlungen für Arbeitnehmer, Unternehmen und Freiberufler, staatliche Garantien für Kredite von Unternehmen, die Möglichkeit offene Kredite und Zahlungen auszusetzen, Zuschüsse zur Stärkung der Liquiditätssituation von Unternehmen sowie Programme zur Unterstützung von Arbeitslosen, Familien u.a.

Dank der oben genannten Maßnahmen verzeichnete Griechenland im ersten Quartal 2020 eine Rezessionsrate von -0,9% auf das Jahr bezogen, welche auf Grundlage der Daten der Europäischen Kommission deutlich unter der Durchschnittsrate der Länder der Eurozone (-3,2%) liegt.

Der Wirtschaftssektor öffnet und erholt sich ebenfalls langsam. Wie schätzen Sie die Entwicklung in Ihrem Land ein?

Trotz der Krise werden in Griechenland große Investitionen bei gleichbleibendem Interesse getätigt. Im Juli 2020 findet die offizielle Eröffnung des Baustarts des Metropolitan Parks von Athen statt, einem der größten der Welt mit einer Fläche von mehr als 2 Millionen Quadratmetern (grösser als der Hyde Park in London mit 1,42 Millionen Quadratkilometern). Das Investitionsvolumen beläuft sich auf eine Gesamthöhe von 8 Milliarden Euro. Parallel beginnt auch die Umsetzung von bedeutenden Investitionen im Bereich des Hotelgewerbes in Höhe von 940 Millionen Euro (Elounda Hills, Kilada Hills, Kassiopi Resort).

Darüber hinaus wurde am 7. Juni der Vertrag über die elektrische Anbindung von Kreta ans griechische Festland durch eine Unterwasserkabelleitung unterzeichnet. Es handelt sich hierbei um ein seit 30 Jahren bestehendes Visionsprojekt zur ökologischen und nachhaltigen Entwicklung Griechenlands. Auch die Privatisierungen und andere wichtige Projekte kommen voran. Zudem haben multinationale Unternehmen wie Microsoft, Applied Materials, CVC und BCP Partners in den letzten Wochen ihre Investitionsbereitschaft in unserem Land angekündigt.

Das Land hat Anfang Juni eine 10-jährige Staatsanleihe am Markt platziert, durch die es 3 Milliarden Euro bei einem Zinssatz von nur 1,55% einnahm. Diese Tatsache widerspiegelt das Vertrauen des internationalen Investorenmarktes in die griechische Wirtschaft.

Einige Worte möchte ich noch zum Tourismussektor und zum “Greek Summer” anbringen: Griechenland ist ein sehr beliebtes internationales Reiseziel. Unser größtes Interesse besteht darin, nicht das erste, sondern das sicherste Reiseziel zu sein. Dies ist angesichts des sehr erfolgreichen Umgangs Griechenlands im Kampf gegen Covid-19 sowie der zusätzlichen Maßnahmen zur Sicherheit von Besuchern und Arbeitnehmern möglich. In diesem Sinne freuen wir uns auf österreichische Gäste, die unser Land heuer besuchen und die Sonne und das blaue Meer Griechenlands in Sicherheit genießen können.

Experten auf der ganzen Welt machen verschiedene Ankündigungen über die zukünftigen Szenarien dieser Pandemie: Von der Behauptung, dass im Herbst eine zweite Welle erwartet wird, bis zur Annahme, dass es überhaupt keine zweite Welle geben wird. Bereiten Sie sich auf beide Szenarien vor und was passiert, wenn das, was alle befürchten, ein neuer Lockdown erneut eintritt? Wie ist Ihre Meinung, würde die Weltwirtschaft noch einen Lockdown überleben?

Je nach den unterschiedlichen Szenarien für die Zukunft folgen daraus auch die unterschiedlichen Ansätze. Griechenland reagierte rechtzeitig und schnell im Umgang mit Covid-19. Das Land stärkte das nationale Gesundheitssystem durch die Einstellung von zusätzlichem medizinischem Personal auf allen Ebenen, richtete Referenzkrankenhäuser im ganzen Land ein, beschaffte zusätzliche medizinische Gerätschaften, stockte die Anzahl der Betten auf dem Intensivstationen auf.

Ausdrücklich möchte ich auch auf den Beitrag eines hervorragenden griechischen Ärzteteams bei der Bekämpfung der epidemiologischen Krise sowie auf die vorbildliche Haltung der griechischen Bürger zu den Empfehlungen des Staates und des wissenschaftlichen Personals hinweisen. Die Gesundheit und der Schutz der Bürger hatten Priorität, so dass Griechenland nach aktuellem Stand weniger als 200 Todesopfer zu beklagen hat. Daher wird der Fall Griechenland von Experten und Organisationen als eine weltweite Erfolgsgeschichte im Umgang mit der epidemiologischen Krise bezeichnet. Der griechische Staat hat in dieser Krise sein Gesundheitssystem geschützt und gefestigt. Nach meiner persönlichen Einschätzung wird es nicht zu einem erneuten allgemeinen Lockdown kommen, so wie wir ihn kennengelernt haben.

(Svetlana Nenadovic-Glusac)