Erklärtes Ziel der V4 ist die Formierung einer noch stärkeren und handlungsfähigeren EU
Anlässlich des 30. Jahrestages der Gründung der Visegrad-Gruppe sprachen wir mit den Botschaftern der V4-Mitgliedsländer Polen, Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik.
Zu diesem großen Jubiläum sprachen wir exklusiv für das Magazin Diplomacy and Commerce Austria mit I.E. Dr. Ivana Cervenkova, Botschafterin der Tschechischen Republik in der Republik Österreich, über die Arbeit und Ziele der V4-Gruppe, über die Themen Klimawandel und Migrationspolitik sowie die Bekämpfung der Coronarvirus-Pandemie und Immunisierung der Bevölkerung inder Tschechischen Republik.
Seit ihrer Gründung hat die Visegrad-Gruppe alle ihre damals gesetzten Ziele erreicht. Welche Ziele hat V4 für die Zukunft und welche beziehen sich auf Ihr Land?
Der erste tschechoslowakische Präsident Tomáš Garrigue Masaryk sagte einst, dass Staaten von Ideen getragen werden, aus denen sie entstanden sind. Für Bündnisse, also auch für die Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten, gilt Ähnliches. Als die anfangs noch drei Mitgliedsstaaten zählende Visegrád-Gruppe 1991 gegründet wurde, erkannten die Vertreter unseres Landes, dass wir alle ein grundlegendes Interesse teilen: die volle Eingliederung in das „politische, wirtschaftliche, sicherheitspolitische und rechtliche System Europas zu erreichen“.
Genau in dieser Form fand sich unser gemeinsames Ziel in der Erklärung von Visegrád wieder. Für die künftige Ausrichtung der V4 ist das ein determinierendes Erbe: dank unseres gemeinsam zurückgelegten Weges verstehen wir beispielsweise gut, wie wichtig eine glaubwürdige Erweiterungs- und eine aktive Nachbarschaftspolitik für Europa sind. Daher tragen wir hier eine besondere Verantwortung.
Aus Sicht der Tschechischen Republik ist der rationale, effiziente, informelle und auf Themen ausgerichtete Charakter am geeignetsten für die Visegrád-Gruppe. Wir glauben, dass der vor 20 Jahren gegründete Internationale Visegrád-Fonds die einzige Institution der V4 bleiben sollte. Es handelt sich dabei um ein einzigartiges Instrument zur Förderung der Kontakte zwischen unseren Zivilgesellschaften, und darüber hinaus auch mit dem Westbalkan und den Ostpartnern.
Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die regionale Zusammenarbeit zwischen V4-Ländern in Bezug auf die Zusammenarbeit innerhalb der EU?
Die Zusammenarbeit im Rahmen der Visegrád-Gruppe geht aus ähnlichen Interessen und einer Reihe gemeinsamer Erfahrungen hervor. Erklärtes Ziel ist allerdings kein anderes, als die Formierung einer noch stärkeren und handlungsfähigeren Europäischen Union. Die gegenwärtige Pandemie zeigt deutlich, dass nur solch ein Europa die Chance hat, in einer multipolaren Welt zu bestehen.
Nicht minder wichtig sind bei der Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten starke Wirtschafts- und Handelsbeziehungen: ein gemeinsamer Wirtschaftsraum stellt für unsere Staaten untereinander wichtige Absatzmärkte und Investitionsmöglichkeiten dar. So unterstützen wir uns gegenseitig beim Ausbau unseres Wohlstandes. Es ist wichtig, dass wir uns weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht verschließen. Politisch bedeutet das für uns als Tschechische Republik, dass wir uns in Mitteleuropa auf drei Säulen stützen: neben der V4 geht es um die Zusammenarbeit mit Österreich und der Slowakei im Slavkov-Format und einen strategischen Dialog mit Deutschland.
Im Rahmen der V4 ist es außerdem wichtig, mit den Partnern im V4+-Format zu kommunizieren – nicht zuletzt mit unserem mitteleuropäischen Partner Österreich: im Jänner 2020 gelang es, in diesem Format ein Treffen der Regierungschefs in Prag zu veranstalten. Im November 2019 trafen in Pragdie Innenminister im FormatV4+Österreichaufeinander.
Die Premierminister der V4-Staaten haben sich kürzlich in der polnischen Stadt Krakau getroffen, um das 30. Jubiläum zu feiern. Anschließend wurden die Themen Klimawandel, Migrationspolitik in der EU und Integration von sechs osteuropäischen Ländern und dem Südkaukasus angesprochen (Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Moldawien und die Ukraine). Welche Positionen hat Ihr Land zu diesen Themen eingenommen?
Wichtig ist für uns weiterhin eine zukunftsorientierte V4-Zusammenarbeit. Für die Tschechische Republik ist es prioritär, konkrete Themen finden zu können, die aktuellen Herausforderungen entsprechen. Wie gesagt, gehört die Außenpolitik gegenüber unseren östlichen Nachbarn zu den Hauptaufgaben. Sie ist aber bei Weitem nicht die einzige.
Wichtige Herausforderungen sind der Corona-Wiederaufbau, die grüne Modernisierung der Wirtschaft und der Übergang zu Industrie 4.0, Digitalisierung, Forschung, Entwicklung, Innovation, die Anpassung des Bildungssystems und der Aufbau von für die Zukunft wichtigen Fähigkeiten. Nicht vergessen dürfen wir die zwischenmenschlichen Kontakte und die kulturelle Zusammenarbeit, die zwischen unseren Ländern stärkere Bindungen aufbaut.
Auf dem gleichen Treffen der Premierminister der V4-Staaten wurde das aktuelle Problem der Bekämpfung der Coronarvirus-Pandemie angesprochen. Wie ist die momentane Situation der Pandemie in Ihrem Land, und wie läuft die Immunisierung der Bevölkerung?
Die Tschechische Republik kam letztes Frühjahr hervorragend durch die erste Welle der Pandemie. Die weiteren zwei Wellen haben unser Land leider mit voller Wucht getroffen. Die neuesten Daten geben allerdings Grund zu leiser Hoffnung. Am Montag, dem 12. April, lief der Ausnahmezustand aus, also kam es zu Lockerungen einiger Schutzmaßnahmen. Beispielsweise konnten Kinder im Volksschulalter wieder in die Schulen zurückkehren. Die Impfkampagne nimmt auch Fahrt auf: in unserem Land mit 10 Millionen Einwohnern haben bis Mitte April 1,5 Millionen Menschen zumindest eine erste Impfdosis erhalten, mehr als 750.000 Menschen bereits zwei Dosen.
Vor kurzem hat Bundeskanzler Sebastian Kurz seine Position zum Ausdruck gebracht, dass es innerhalb der EU keine gleichmäßige Verteilung von Impfstoffen gibt. Wie ist die Haltung Ihres Landes in Bezug auf die Verteilung von Impfstoffen innerhalb der EU, und welche Impfstoffe werden zur Impfung der Bevölkerung in Ihrem Land verwendet?
Es ist bekannt, dass sich die Tschechische Republik der Initiative von Bundeskanzler Kurz für eine solidarische Korrektur der Impfstoffverteilung innerhalb der EU angeschlossen hat. Unser Standpunkt konnte zuletzt nicht durchgesetzt werden. Auch deshalb sind wir dankbar, dass wir von unseren mitteleuropäischen Partnern – Österreich, Slowenien und Ungarn – Unterstützung erhalten haben. Die Situation in der Tschechischen Republik ist weiterhin nicht einfach. Jede zusätzliche verlässliche und sichere Impfdosis ist daher eine große Hilfe.
English
H.E. Dr. Ivana Cervenkova, Ambassador of the Czech Republic to the Republic of Austria
The declared aim of the V4 is the formation of an even stronger and more capable EU
On the occasion of the 30th anniversary of the founding of the Visegrad Group, we spoke to the ambassadors of the V4 member countries Poland, Hungary, Slovakia and the Czech Republic.
On this big anniversary, we spoke exclusively for the Diplomacy and Commerce Austria magazine with H.E. Dr. Ivana Cervenkova, Ambassador of the Czech Republic to the Republic of Austria about the work and goals of the V4 Group, the topics of climate change and migration policy and the fight against the coronary virus pandemic and the immunization of the population in the Czech Republic.
Since its inception, the Visegrad Group has achieved all of the goals it set at the time. What goals does V4 have for the future and which ones relate to your country?
The first Czechoslovak President Tomáš Garrigue Masaryk once said that states are carried by the ideas from which they arose. The same applies to alliances, including cooperation between the Visegrád states. When the Visegrád Group, which initially had three member states, was founded in 1991, the representatives of our country recognized that we all share a fundamental interest: to achieve full integration into the “political, economic, security and legal system of Europe”.
It is precisely in this form that our common goal was reflected in the Visegrád Declaration. This is a determining legacy for the future direction of the V4: thanks to the way we have traveled together, we understand, for example, how important a credible enlargement policy and an active neighborhood policy are for Europe. We therefore have a special responsibility here.
From the point of view of the Czech Republic, the rational, efficient, informal and thematic character is most suitable for the Visegrád Group. We believe that the International Visegrád Fund, established 20 years ago, should remain the only institution of the V4. It is a unique instrument for promoting contacts between our civil societies, and also with the Western Balkans and the Eastern partners.
In your opinion, how important is regional cooperation between V4 countries in relation to cooperation within the EU?
The cooperation within the Visegrád Group arises from similar interests and a number of shared experiences. However, the declared goal is no other than the formation of an even stronger and more capable European Union. The current pandemic clearly shows that only such a Europe has the chance to survive in a multipolar world.
No less important are strong economic and trade relationships in the cooperation between the Visegrád states: a common economic area represents important sales markets and investment opportunities for our states. In this way we support each other in expanding our prosperity. It is important that we do not close ourselves off economically or politically. Politically, for us as the Czech Republic, this means that we in Central Europe are based on three pillars: in addition to the V4, it is about cooperation with Austria and Slovakia in the Slavkov format and a strategic dialogue with Germany.
As part of the V4, it is also important to communicate with the partners in the V4 + format – not least with our Central European partner Austria: in January 2020, a meeting of the heads of government in Prague was held in this format. In November 2019, the interior ministers met in Prague in FormatV4 + Austria.
The Prime Ministers of the V4 countries recently met in the Polish city of Krakow to celebrate the 30th anniversary. Then the topics of climate change, migration policy in the EU and integration of six Eastern European countries and the South Caucasus (Armenia, Azerbaijan, Belarus, Georgia, Moldova and Ukraine) were addressed. What positions has your country taken on these issues?
A future-oriented V4 cooperation is still important for us. For the Czech Republic, it is a priority to be able to find specific topics that meet current challenges. As I said, foreign policy towards our eastern neighbors is one of the main tasks. But it is far from the only one.
Important challenges are the corona reconstruction, the green modernization of the economy and the transition to Industry 4.0, digitization, research, development, innovation, the adaptation of the education system and the development of skills that are important for the future. We must not forget the human contacts and cultural cooperation that builds stronger bonds between our countries.
At the same meeting of the Prime Ministers of the V4 countries, the current problem of combating the coronary virus pandemic was raised. What is the current situation of the pandemic in your country and how is the population being immunized?
The Czech Republic got off the first wave of the pandemic brilliantly last spring. Unfortunately, the other two waves hit our country with full force. However, the latest data give cause for faint hope. The state of emergency expired on Monday April 12, so some protective measures were relaxed. For example, primary school children could return to school. The vaccination campaign is also picking up speed: in our country with 10 million inhabitants, 1.5 million people had received at least one first vaccination dose by mid-April, and more than 750,000 people had already received two doses.
Chancellor Sebastian Kurz recently expressed his position that there is no uniform distribution of vaccines within the EU. What is your country’s attitude towards the distribution of vaccines within the EU and what vaccines are used to vaccinate the population in your country?
It is known that the Czech Republic has joined Chancellor Kurz’s initiative to correct the distribution of vaccines within the EU in solidarity. Our point of view could not be enforced in the end. That is also why we are grateful that we have received support from our Central European partners – Austria, Slovenia and Hungary. The situation in the Czech Republic is still not easy. Any additional reliable and safe vaccine dose is therefore of great help.
Text: Svetlana Nenadovic Glusac
Foto: Flora P.