Rede des Bundespräsidenten bei der Festveranstaltung »30 Jahre Öffnung des Eisernen Vorhangs« in Grafenegg
Am Europatag ist bei einem Festakt im niederösterreichischen Grafenegg an “30 Jahre Öffnung des Eisernen Vorhangs” erinnert worden. Sowohl Bundespräsident Alexander Van der Bellen als auch Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner stellten in ihren Reden am Donnerstagabend die Bedeutung des Gemeinsamen in Europa in den Vordergrund. Gewarnt wurde vor nationalistischen Tendenzen.
Alexander Van der Bellen erinnerte an die Geschehnisse im Jahr 1989, als etwa der damalige Außenminister Alois Mock gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Gyula Horn symbolisch den Grenz-Stacheldraht durchschnitt. Es habe Jahrzehnte gebraucht, die Europäische Union aufzubauen. “Es ist wesentlich einfacher, etwas zu zerstören, als etwas aufzubauen. Ich bin davon überzeugt, dass nichts besser wird, wenn die Länder Europas wieder beginnen sollten, ihr eigenes Süppchen zu kochen und sich voneinander abzuschotten. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind nur gemeinsam zu lösen”, betonte der Bundespräsident. Es liege im Interesse jedes einzelnen Mitgliedsstaates der Union, einen Rückfall in die frühere Isolation zu verhindern.
Er glaube an ein gemeinsames, starkes Europa der Grundwerte, Menschenrechte, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – der Solidarität. “Dieses Europa hat aus seinen Fehlern gelernt und sich zusammengeschlossen, so dass jeder einzelne von uns in Frieden leben kann”, sagte Van der Bellen bei der Veranstaltung mit mehr als 400 Gästen in der Reitschule in Grafenegg. Es gelte, weiterhin nach dem Gemeinsamen in Europa zu streben und nicht nach dem Trennenden.
Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich der Festveranstaltung „30 Jahre Öffnung des Eisernen Vorhangs“
Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner!
Sehr geehrte Ehren- und Festgäste!
eine Damen und Herren!
Manchmal verdichten sich große Ereignisse der Geschichte von Nationen und auch ganzen Kontinenten auf wenige Tage. Und werden in die Hände weniger Menschen gelegt.
So wie vor ziemlich genau 30 Jahren in jene von Alois Mock. An ihn muss man beim heutigen Thema unweigerlich denken. Am 27. Juni 1989 öffnete Alois Mock symbolisch den Eisernen Vorhang, als er gemeinsam mit Gyula Horn den Grenz-Stacheldraht durchschnitt.
Wir alle haben das Bild, eine fotografische Ikone der jüngeren österreichischen Geschichte, heute in dem kurzen Film schon gesehen. Die Zeit der Stacheldrähte, der Wachtürme, der Scharfschützen, ja, diese dunkle Zeit war in diesem Moment zu Ende. Welche Freude lösten diese Ereignisse damals bei Millionen Menschen, in Österreich, in Ungarn, ja in ganz Europa und der Welt aus.
Alois Mock selbst bezeichnete diesen Moment später als schönsten Augenblick seines Berufslebens.
Die Durchtrennung des Grenzzaunes eröffnete eine europäische Dynamik, die in den Beitritt von zehn mehrheitlich osteuropäischen Mitgliedsstaaten führte. Das davor geteilte Europa hatte die Spaltung überwunden.
“Und unsere Heimat, die jahrzehntelang am Rande des Eisernen Vorhanges lokalisiert war, rückte plötzlich ins Zentrum der Europäischen Union.”
Es eröffnete sich damit gerade für unsere östlichen Bundesländer – Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland und Wien – eine neue Welt – wirtschaftlich und menschlich.
Plötzlich war intensiver menschlicher, wirtschaftlicher und kultureller Austausch mit unseren Nachbarn jenseits der Grenze möglich, zum Vorteil beider Seiten.
Ich kehre noch mal ins Jahr 1989 zurück. Nur etwa 20 Tage nach der Durchschneidung des Grenzzaunes, überreichte derselbe Alois Mock gemeinsam mit Brigitte Ederer am 17. Juli 1989 Österreichs Beitrittsantrag zur Europäischen Gemeinschaft.
Am Ende dieses Prozesses gab es dann das berühmte Bussi von Alois Mock für Brigitte Ederer, an das wir uns alle wohl ebenso erinnern.
Alois Mock war ein glühender Europäer. Ein Vorbild für uns alle. Über seine Bedeutung für unser Land muss ich Ihnen, gerade Ihnen, nicht erzählen.
Was er wohl empfinden würde, wenn er wüsste, wie sehr die europäische Idee heute unter Druck geraten ist?
Dass es Politikerinnen und Politiker gibt, die sich allen Ernstes in die Zeit der alten Konflikte zurücksehnen? Eine Zeit der Drohungen und Bedrohungen? Eine Zeit der Abschottung?
Und dass es sich bei diesen um Politikerinnen und Politiker handelt, die europäischen Machtpositionen gefährlich nahe gekommen sind?
Meine Damen und Herren!
Es hat Jahrzehnte gebraucht, die europäische Union aufzubauen.
Aber wie ein Baum, der lange Zeit braucht, um zu wachsen und stark zu werden, und in nur wenigen Minuten gefällt ist, so ist auch die Europäische Union leicht zu beschädigen.
Es ist wesentlich einfacher, etwas zu zerstören, als etwas aufzubauen.
Aber nichts wird besser, wenn die Länder Europas wieder beginnen, ihr eigenes Süppchen zu kochen und sich voneinander abzuschotten.
“Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, lassen sich nur gemeinsam lösen.”
Alois Mock hat gesagt, wenn ich zitieren darf: „Ich glaube, dass die EU uns die höchste Sicherheit bietet für Frieden und gegen Krieg.“
Er hatte Recht. Er hat noch immer Recht.
Ich möchte dem hinzufügen, die EU ist auch ein Garant dafür, dass unsere nationalen Fähigkeiten zu einer Kraft gebündelt werden, die auch die anderen globalen Mächte ernst nehmen müssen.
Es ist eine einfache Wahrheit, dass wir gemeinsam stärker sind als alleine.
Wenn wir auf diese einfache Wahrheit vergessen, setzen wir alles aufs Spiel, was uns ausmacht.
Auf Basis des gemeinsam errungenen Friedens können wir Europa zu Wohlstand und einer Blüte führen, die seine einzelnen Länder isoliert nicht erreichen können.
Von außen betrachtet kann es für andere Staaten natürlich profitabler erscheinen, die Union auseinander zu dividieren.
Die pure Verhandlungsmacht ist nun einmal für einen einzelnen, isolierten europäischen Staat ungleich kleiner als für einen ganzen Kontinent.
Daher liegt es im Interesse eines jeden Mitgliedsstaates der Union, einen Rückfall in die frühere Isolation zu verhindern.
“Lassen wir uns also nicht einreden, es wäre ein gutes Geschäft, wenn wir die Macht unserer großen europäischen Gemeinschaft gegen die viel kleinere Macht der Einsamkeit und der vermeintlichen nationalen Souveränität eintauschen.”
Am Ende wäre das nämlich ein Verlust für uns alle.
Dazu kommen andere große Herausforderungen: Seien es Flucht und Migration, Klimakrise und Energiepolitik, Arbeitslosigkeit und Armut, Krieg und Vertreibung, Gewalt und Terror, oder die digitale Transformation.
All diese Probleme sind als einsamer Einzelstaat zu lösen? Don’t make me laugh. All das ist doch nur gemeinsam lösbar.
Wer, wenn nicht die Europäische Gemeinschaft, wird dafür sorgen können, dass die globalen Konzerne Facebook, Google, Microsoft u Co ihre Marktmacht nicht missbrauchen?
Österreich kann es allein nicht. Ich bezweifle auch, dass es Deutschland alleine kann.
Nur gemeinsam sind wir stark, nur gemeinsam ist unsere Stimme laut und mächtig genug, dass sie auch gehört wird. Miteinander sind wir einfach stärker.
Meine Damen und Herren!
Ich glaube an ein gemeinsames, starkes Europa der Grundwerte, der Menschenrechte, der Grund- und Freiheitsrechte, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – Solidarität würde ich dazu heute sagen.
Ein Europa, in dem die rechtsstaatlichen Grundfesten unserer Demokratien fest verankert sind, in dem die Klimakrise ernst genommen wird, in dem wir zwischen Tatsachen, fake news und alternative facts sehr wohl unterscheiden können.
Und ja, ich glaube an ein Europa, das mit seinem rechtsstaatlichen Wertefundament auch weiter das Vorbild für die ganze Welt sein kann.
Wir können und wir müssen als Vorbild für die Welt vorangehen. Wir können zeigen, dass unsere europäischen Werte unverhandelbar sind.
Meine Damen und Herren,
dieses Europa hat aus seinen Fehlern gelernt und sich zusammengeschlossen, damit jeder einzelne von uns in Frieden leben kann. Das dürfen wir nie vergessen.
Ein letztes Mal darf ich Alois Mock noch zitieren: „Wovor ich Angst habe? Wenn sich der menschliche Egoismus brutal durchsetzt.“
Ich denke, wir sind es Alois Mock, vor allem aber uns selber sowie unseren Kindern und Enkelkindern schuldig, dass wir weiterhin nach dem Gemeinsamen in Europa streben und nicht nach dem Trennenden.
Denn nur darin liegt das größtmögliche Wohl aller.
Das hat uns in der Vergangenheit groß gemacht und das wird uns auch in Zukunft helfen. Und das ist ja auch etwas sehr Österreichisches.
Vielen Dank.
(bundespraesident.at)