Mit der deutschen Malerin Ruth Baumgarte (1923 – 2013) präsentiert die ALBERTINA eine herausragende Künstlerinnenposition des 20. Jahrhunderts. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Schau in der Pfeilerhalle steht Baumgartes umfassender Werkkorpus, dem Reisen der Künstlerin in afrikanische Länder wie Ägypten, Südafrika, Kenia, Tansania, Uganda, Äthiopien, Sudan und Simbabwe zugrunde liegen. Die insgesamt rund 70 Ölgemälde, Aquarelle und Graphiken entfalten bei ihrer Betrachtung eine nahezu magische Qualität. Der simbabwische Dichter Chirikure Chirikure sagte über die Künstlerin: “Die Länder Afrikas und seine Völker waren für sie keine Modelle, die es auf der Leinwand festzuhalten galt, sondern ein integraler Bestandteil ihrer Lebensreise.”
Ab den 1950er-Jahren bis ins hohe Alter reiste die Künstlerin über vierzig Mal nach Afrika, wo sie die Menschen aufmerksam beobachtete, sich empathisch in sie einfühlte. Sie interessierte sich für die fremden Kulturen eines damals für europäische Kunstschaffende noch unerschlossenen Kontinents. Zentral für das Verständnis von Ruth Baumgartes Kunst ist das Verhältnis von Mensch und Natur, die Verschmelzung von Figur und Landschaft. Auf Basis schneller Skizzen, die sie vor Ort anfertigte, schuf sie später – wieder zuhause in ihrem Atelier in Deutschland – farbintensive Gemälde, virtuose Aquarelle, ausdrucksstarke Gouachen und Zeichnungen.
Ruth Baumgarte hat ihre Afrikabilder zu einem Zeitpunkt angefertigt, als Fragen nach künstlerischer Aneignung und kultureller Enteignung noch längst nicht so breit diskutiert wurden wie heute im Zeitalter postkolonialer Diskurse. Trotzdem erkannte sie intuitiv, dass politische Asymmetrien, die sich als Culture Clash manifestieren, nicht in oberflächlicher Harmonie aufgelöst werden können, sondern in spannungsgeladenen Farbkompositionen gestalterisch problematisiert werden müssen. So entstand ein koloristischer Kosmos, der, ausgehend von flammenden Rottönen und sattem Orange-Ocker über Gelb, Rosa und 2 Violett zu entschiedenen Violett-Blau-Tönen in die Tiefe verfließt. Das sehr spezielle Licht der afrikanischen Landschaften findet auf diese Weise malerischen Ausdruck, während die Auflösung der Formen und eine Allegorisierung der Motive vom Unbehagen der Künstlerin beim Erleben eines Kontinents zwischen Aufbruch und weiter bestehender Ungleichheit künden.
Humanistisch geprägtes Oeuvre der Weltbefragung
Ein Künstlerinnenleben lang machte es sich Ruth Baumgarte zur Aufgabe, die eigene Wahrnehmung zu erforschen und hinterfragte den kolonialen Blick nach der Aneignung des Anderen. Stets näherte sie sich einer unbekannten Kultur sensibel an, um sie intuitiv zu verstehen. Nicht nur kognitiv rational, sondern mit den Mitteln der Kunst: Pinsel und Farbe wurden zu ihren Verbündeten in der Erkundung von anderen Lebensanschauungen und prekären Lebensbedingungen. Das humanistisch geprägte Oeuvre zeichnet sich durch große künstlerische Empathie aus.
Die Darstellung der afrikanischen Frau in ihrem Lebensumfeld nimmt bei Baumgarte einen breiten Raum ein. Selbst wenn die Künstlerin Personen im Sinne einer spezifischen Identität oder Zugehörigkeit zu einer Rasse, Klasse oder einem Geschlecht zeigte, beschrieb sie das Individuum in seiner Einzigartigkeit letztendlich immer als Teil einer Gemeinschaft.
Ruth Baumgarte strebte weder eine Exotisierung des Anderen an, noch bediente sie sich einer Rhetorik der Überlegenheit, mit der ehemalige Kolonialmächte gerne die alten Herrschafts- und Dominanzverhältnisse zu perpetuieren trachteten. Stattdessen steht sie für eine dialektische Kunst, die Spannungsverhältnisse etwa zwischen Urbanität und Wildnis, zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv, zwischen alltäglicher Banalität und magisch-surrealen Gegenwelten ästhetisch zu transzendieren imstande ist.
Durch einen fließenden Austausch von impressionistischen und expressionistischen Gesten wird die Vermischung der Kulturen, die Verschmelzung des Anderen mit dem Eigenen anschaulich gemacht. Frei nach einem Diktum des französischen Kulturtheoretikers Edouard Glissant, der gesagt hat: “Keine Kultur ist heute isoliert von der anderen. Es gibt keine reinen Kulturen, das wäre lächerlich. Die Spur des Lebens wird nicht durch das Identische gelegt, sondern durch das Verschiedene. Das Gleiche produziert: nichts.”
Albertina Pfeilerhalle 2.12. 2022 – 5.3. 2023