Diplomaten sind Agenten des Dialogs
Der Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, S.E. Dr. Emil Brix, wurde 1956 in Wien geboren, studierte Anglistik und Geschichte an der Universität Wien und ist ein österreichischer Diplomat, Kulturpolitiker und Historiker.
Dr. Brix ist seit 1982 im diplomatischen Dienst der Republik Österreich.
Seine diplomatische Karriere begann mit der Position des österreichischen Generalkonsuls in Krakau (1990–1995), danach wurde er zum Direktor des Österreichischen Kulturinstituts in London ernannt (1995–1999), als Leiter der kulturpolitischen Sektion im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (2000–2010) hat er die Diplomatie dort geprägt.
Emil Brix wurde zum ersten Mal als Botschafter Österreichs im Ausland nach Großbritannien versendet (2010-2015), gefolgt vom Posten des Botschafters in Russland (2015-2017).
Noch im selben Jahr übernimmt S.E. Emil Brix die Position des Direktors der Wiener Diplomatischen Akademie.
Sehr geehrter Herr Botschafter Brix, können Sie eine Parallele zwischen der Diplomatie damals, als Sie anfingen, und der heutigen Diplomatie ziehen? Wo ist dieser Unterschied am deutlichsten sichtbar?
An den Zielen der Diplomatie hat sich auch im 21. Jahrhundert nichts geändert. Aber die Weltordnung ist weit instabiler geworden und mit dieser Fragmentierung und Unsicherheit ist Diplomatie zu unserer wichtigsten Ressource für Frieden und Sicherheit geworden. Mit neuen Instrumenten wie den “Sozialen Medien” und allen Herausforderungen der Digitalisierung sind neue Kenntnisse und Methoden gefordert. In den internationalen Beziehungen müssen Diplomaten als Schutzengel der Disruption handeln.
Können Sie als jemand, der an der Spitze einer Institution arbeitet, die neue Generationen von Diplomaten aus dem In- und Ausland ausbildet, sagen, was ausschlaggebend dafür ist, dass jemand ein guter Diplomat wird?
Es gibt keinen Königsweg zum guten Diplomaten. Er muss in einer Welt zwischen Kontrollsehnsucht und Anarchie navigieren. Dafür braucht es exzellente Kommunikationsfähigkeiten, eine gute Prise Analysefähigkeiten, die Bereitschaft zum Zuhören und möglichst viel Empathie für das jeweilige Gegenüber und für das “Gemeinwohl”. Es scheint selbstverständlich, aber es ist in der Realität oft nicht einfach, das eigene “nationale” oder “institutionelle” Interesse zu erkennen und zu formulieren.
Viele der Studierenden der Diplomatischen Akademie übernehmen später wichtige Positionen in ihren Staaten, bleibt die DA mit ihnen weiter in Kontakt?
Die Diplomatische Akademie bleibt im Kontakt mit den ehemaligen Studierenden. In der Absolventenvereinigung “Club-DA” sind derzeit fast 2000 Mitglieder Bestandteile eines globalen Netzwerkes, das in mehr als 20 Staaten auch in “local chapters” zusammenarbeitet. Absolventen sind die besten “Botschafter” der Diplomatischen Akademie, weil sie den verbindenden weltoffenen Geist dieser Institution selbst erlebt haben. Es stimmt, dass viele von ihnen später wichtige Positionen in ihren Staaten übernommen haben und fast jedes Jahr nehmen wir neue, in ihren oft sehr unterschiedlichen Karrieren erfolgreiche Absolventen in unsere “Hall of Fame” auf. Darunter befinden sich ehemalige Staatspräsidenten und Regierungsvertreter genauso wie Unternehmerpersönlichkeiten und Spitzenmanager der Wirtschaft oder auch Internationaler Organisationen. Die Vielfalt dieser lebenslangen “Familie” macht den besonderen Charakter der Diplomatischen Akademie aus.
Vor welchen Herausforderungen steht die Diplomatie heute am häufigsten?
Der Verlust an Vertrauen zwischen den Akteuren der internationalen Politik ist die größte Herausforderung. Diplomaten sind Agenten des Dialogs, aber um erfolgreich zu sein, braucht es politische Entscheidungsträger, die akzeptieren, dass Macht im globalen Kontext immer relativ und dynamisch veränderbar ist. In der Unsicherheit über die zukünftige Weltordnung und über die Konsequenzen unserer wirtschaftlichen Handlungen (von der Klimakrise bis zum Cyberspace) ist nicht der Rückzug auf den Kampf zwischen Staaten, Ideologien und Kulturen die Lösung, sondern ein respektvoller Dialog. In der modernen Welt fühlen sich Menschen immer mehreren Identitäten zugehörig. Die Diplomatie hat die permanente Aufgabe, dass grenzüberschreitende Verhandlungsprozesse nach gerechten Regeln ablaufen oder bei technischen Innovationen wie z.B. der AI zu zukünftigen gerechten internationalen Regeln beitragen.
Als jemand, der Botschafter in Moskau war, muss ich Sie fragen: Können Sie uns Ihre Position zum Thema des Krieges zwischen Russland und der Ukraine mitteilen und vorhersagen, was Ihrer Meinung nach, die Lösung zur Beendigung dieses Konflikts ist?
Der russische Angriff auf den unabhängigen Nachbarstaat Ukraine ist völkerrechtswidrig und ein Krieg gegen den gesamten demokratischen Westen. Die Russische Föderation hat mit diesem Krieg nicht nur für Europa eine sicherheitspolitische “Zeitenwende” ausgelöst, sondern schließt auch an die imperialistischen und totalitären Traditionen seiner Geschichte an. Dies macht die Beendigung dieses Krieges so schwierig, weil es nicht nur um territoriale Fragen geht. Ich bin wie seit Beginn dieses Krieges der Ansicht, dass nur der ihn beenden kann, der ihn begonnen hat. Präsident Putin ist offensichtlich derzeit nicht bereit dazu. Ist Diplomatie in der Lage, dies zu ändern? Im Moment ist die gar nicht so bescheidene Aufgabe der Diplomatie, den Austausch von Toten und Gefangenen zu ermöglichen, entführte ukrainische Kinder aus Russland zurückzubringen, die Gefahr einer Katastrophe im Atomkraftwerk Saporischschja abzuwenden und die besonders für den “globalen Süden” wichtigen Getreidelieferungen aus der Ukraine (und aus Russland) sicherzustellen. Was eine spätere Rolle der Diplomatie bei der Lösung dieses Konflikts betrifft, so lässt sich heute wohl sagen, dass dieser Krieg voraussichtlich nicht am Schlachtfeld entschieden werden wird.
Am anderen Ende der Welt verschärfte der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober die fragilen Beziehungen zwischen Israel und Palästina. Als erfahrener Diplomat muss ich Sie fragen: Sehen Sie eine Lösung für diesen Konflikt und wie würde er aussehen?
Die besten Diplomaten der Welt suchen seit vielen Jahrzehnten nach einer gerechten und dauerhaften Lösung dieses Konfliktes. Und sie sind sich dabei besonders seit dem Massaker vom 7. Oktober wieder zunehmend einig, dass es neben Israel einen palästinensischen Staat geben muss. Für eine Zwei-Staaten-Lösung, wie immer sie territorial und institutionell aussehen wird, wird es internationale Garantien brauchen, die durch die Vereinten Nationen abgesichert sind. Die friedliche Lösung von internationalen Konflikten ist die Gründungsidee der Vereinten Nationen. Die UNO muss im Interesse des Weltfriedens ihre Bedeutung gerade in diesem Konflikt unter Beweis stellen. Aber die Vorzeichen dafür sind nicht vielversprechend, weil mit Hilfe der Vereinten Nationen konnten zwar Kriege beendet und Flüchtlingshilfen organisiert werden, aber zum Vertrauen zwischen Israel und der arabischen Welt wurde von der Weltorganisation bisher nicht beigetragen.
In verschiedenen sozialen Netzwerken kann man sowohl von Oppositionspolitikern als auch von einfachen Bürgern verschiedener Länder auf Kommentare stoßen, dass die Diplomatie in beiden Fällen gescheitert sei. Glauben Sie, dass das Schlimmste durch eine intensivere Diplomatie hätte vermieden werden können – Tausende von Toten, Verwundeten und vertriebenen Zivilisten?
Ich versuche, differenzierte Antworten zu geben. Erstens: Selbst die beste Diplomatie kann nur dort erfolgreich sein, wo es die Politik zulässt. Zweitens: Diplomatie sollte in internationalen Beziehungen nicht automatisch Nachgiebigkeit gegenüber militärischer Aggression bedeuten. Wenn Gemeinschaften auf die Verteidigung ihrer Werte verzichten, dann kann dies bis zu ihrer Existenzbedrohung führen. Die britische Appeasement-Politik 1938 gegenüber den Forderungen Hitler-Deutschlands hat den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern können.
Da ich soziale Netzwerke erwähnte, muss ich Sie fragen, wie wichtig ist Twitter, Facebook & Co in der Kommunikation der heutigen Diplomatie und Politik geworden? Ist es ein neuartiges Instrument, um junge Menschen und eine breite Menschenmasse zu erreichen?
Soziale Netzwerke sind für Wirtschaft, Politik und Diplomatie unverzichtbare neuartige Instrumente. Sie schaffen Möglichkeiten, um Zielgruppen rasch und global zu erreichen und sie erreichen derzeit vor allem junge Menschen. Sie verlangen aber eine wenig differenzierte Form der Kommunikation, letztlich das Gegenteil von dem, was gute Diplomatie ausmacht.
Die Diplomatische Akademie Wien ist die älteste Diplomatenschule der Welt
1754 gründete Kaiserin Maria Theresia die Orientalische Akademie, um junge Männer für den diplomatischen Dienst der Habsburgermonarchie auszubilden. Aus der Orientalischen Akademie entstand zunächst die Konsularische Akademie und 1964 die Diplomatische Akademie. 1996 erhielt die Diplomatische Akademie Wien – Vienna School of International Studies den Status einer unabhängigen öffentlichen Ausbildungsstätte. Die Akademie ist damit eine der ältesten Fachhochschulen für internationale Beziehungen weltweit.
Die Vienna School of International Studies (Diplomatische Akademie Wien, l’École des Hautes Études Internationales de Vienne) ist ein Kompetenzzentrum für internationale Beziehungen.
„Wir sind stolz darauf, die älteste Berufsschule der Welt zu sein, die im Laufe von mehr als zwei Jahrhunderten talentierte Männer und Frauen in internationale Karrieren und Führungspositionen gebracht hat.
Unser einzigartiger multidisziplinärer Lehransatz widmet sich nicht nur den höchsten akademischen Standards und der Beherrschung der wichtigsten Weltsprachen, sondern auch der Verknüpfung von Theorie und Praxis. Unsere Aktivitäten als Professional School werden ergänzt durch hochkarätige Forschung, weltweit anerkannte Weiterbildungsprogramme für Führungskräfte und unsere Funktion als Drehscheibe für öffentliche Vorträge und Debatten.
Wir sind fest entschlossen, unseren einzigartigen Standort in Wien, der Welthauptstadt der Diplomatie, zum Wohle unserer Studierenden und zur Weiterentwicklung der internationalen Gemeinschaft zu nutzen.“
Text: Svetlana Nenadovic Glusac