Mag. Michael Otter, Leiter der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA, WKÖ: Als Lehre aus der Krise will Österreich daher seine Industrie künftig unabhängiger vom Rest der Welt aufstellen

Die Covid-19-Pandemie hat zu beispiellosen Herausforderungen bei den laufenden operativen Aktivitäten der globalen Industrie, dem Handel und der Wirtschaft geführt. Die Weltwirtschaft wurde für mehrere Monate gezwungen, auf die Notbremse zu treten.

Mag. Michael Otter, Leiter der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA, der Wirtschaftskammer Österreich / Copyright: Valeri Angelov

Durch die restriktiven Maßnahmen und den Lockdown,den die Regierungen rund um den Globus durchgeführt haben, wurde die Wirtschaft in einen Winterschlaf versetzt.

Vorsichtig wird die Wirtschaft in jedem Land wieder hochgefahren.Alle Wirtschaftszweige  sind von der Krise – ausgelöst vom Coronavirus – davon betroffen, ohne Ausnahme.

Wie hat sich die Krise auf die Weltwirtschaft ausgewirkt und wie sind die Prognosen für die Zukunft? Darüber haben wir mit Wirtschaftsexperten und Vertretern der ausländischen Wirtschaftskammern in Wien, sowie HandelsvertreterInnen aus Handelsabteilungen und Wirtschaftsdelegierten aus der Diplomatie in Österreich gesprochen.

Wir sprachen für Diplomacy and Commerce Austria mit Mag. Michael Otter, Leiter der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA, der Wirtschaftskammer Österreich.

Wie hat Covid-19 Pandemie die Arbeit der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA beeinflusst?

Die Corona-Pandemie, der darauffolgende Lockdown in vielen Ländern und Grenzschließungen haben die weltweit agierenden Kundinnen und Kunden der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) schmerzhaft aus ihrer bislang sehr erfolgreichen Geschäftstätigkeit herausgerissen.

Massiv waren die damit einhergehenden Auswirkungen auf unsere Organisation. Auf Grund notwendiger Sicherheitsmaßnahmen sowie der enormen Einschränkung der Reisefreiheit wurden ja nahezu alle Beteiligungen an persönlichen Meetings, Kongressen, Messen und andere b2b-Aktivitäten von unseren Partnern, aber natürlich auch viele eigene Veranstaltungen der AUSSENWIRTSCHAFT, verschoben bzw. abgesagt.

Daher verlagerten wir große Teile unseres Informationsangebots in die virtuelle Welt und wir werden einige dieser Formate auf Grund des guten Feedbacks auch in Zukunft beibehalten. Und natürlich war während und nach der Krise das Bedürfnis nach individuellen Beratungsgesprächen, Interventionen und Unterstützungsleistungen durch unsere AußenwirtschaftsCenter noch stärker als sonst – auf die Expertise unserer Teams in über 70 Ländern konnte sich Österreichs Exportwirtschaft jedenfalls verlassen. Ebenso wurden in der WKÖ, wo viele Kolleginnen und Kollegen in den zentralen Corona-Informationsstellen mit eingebunden waren, hilfesuchende Unternehmen aus dem Home-Office Modus heraus intensiv betreut bzw. beraten.

Mag. Michael Otter / Copyright: Valeri Angelov

Sind die Mitarbeiter der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA zu Beginn der Lockdowns zurückgeholt worden oder in den Ländern geblieben, in denen die AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA Vertretungen hat?

Natürlich war und ist die Corona-Krise auch für die AUSSENWIRTSCHAFT mit ihren rund 800 Mitarbeitern im In- und Ausland eine immense Herausforderung. Nicht nur, weil diese Krise den beruflichen Alltag stark prägt, sondern weil sie gleichzeitig das persönliche Lebensumfeld besonders beeinträchtigt. Dennoch war es bislang in keinem Land notwendig österreichische Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter auszufliegen. Ganz im Gegenteil, denn dank der engen sozialen, familiären und beruflichen Bindungen an „ihre“ Länder, konnten unsere Teams vor Ort selbst noch in Krisenzeiten den österreichischen Unternehmen den von uns gewohnten, hochqualitativen Service anbieten – in vielen Ländern aus dem Home-Office und wo gefordert unter Einhaltung von Quarantänemaßnahmen. Wir waren mit allen WKÖ-Wirtschaftsdelegierten permanent in Kontakt und damit stets über die Entwicklungen in aller Welt sehr gut informiert. Die AUSSENWIRTSCHAFT war somit selbst in turbulenten Zeiten ein verlässlicher Partner und wird es natürlich bleiben. Schließlich ist nach dem Lockdown im Exportgeschäft nicht nur ein Neustart, sondern eine Aufholjagd notwendig, für die es sich im internationalen Geschäft rechtzeitig zu rüsten gilt.

Mag. Michael Otter / Copyright: Valeri Angelov

Wie schätzen Sie die Lage ein, stehen wir vor einer ernsthaften Krise, die lange andauern wird, oder vor einer raschen Erholung der Wirtschaft? 

Wenn es um die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen von Corona geht, setzt die Regierung auf viele Unterstützungsmaßnahmen für Betriebe und Beschäftigung, um unsere Wirtschaft auf die Erfolgsspur zurückzubringen. Denn die Unternehmen brauchen Unterstützung, Planungs- und Finanzierungssicherheit und Liquidität. Noch sind viele Auftragsbücher voll und werden abgearbeitet, aber vielerorts mangelt es an neuen Aufträgen.

Ich denke trotzdem, dass wir schon nächstes Jahr ein passables Wachstum haben werden. Wenn wir 2021 die Hälfte von dem wettmachen, was wir 2020 verlieren, wäre das ein Erfolg. Es ist klar, dass der Weg zurück kein schneller sein wird. Österreich liegt mit staatlichen Hilfsmaßnahmen von über 50 Mrd. Euro im internationalen Spitzenfeld. Sinn aller Hilfspakete war und ist es, ein rasches Comeback unserer Wirtschaft zu ermöglichen. Denn der Staat kann zwar die Unternehmen in dieser Situation schützen, insgesamt gilt es aber, die Voraussetzungen so zu gestalten, dass die Betriebe bald aus eigener Kraft wieder ihre Umsätze erwirtschaften. Speziell für Exporteure schnürten die OeKB und das Finanzministerium ein Hilfspaket gegen die Covid-19-Auswirkungen, mit einem Kreditrahmen von drei Milliarden Euro. Die Kredite dienen in erster Linie der Standortsicherung und Fortführung des Betriebs der Exporteure. Denn mit der Corona-Krise litten auch die internationalen Geschäftsbeziehungen stark. Das hat deutliche Bremsspuren im BIP unseres Landes hinterlassen, wenn diese auch nicht so ausgeprägt sind wie in anderen Volkswirtschaften.

 

 

Der Wirtschaftssektor öffnet und erholt sich ebenfalls langsam. Wie schätzen Sie die Entwicklung auf globaler Ebene? 

 

Laut Weltbank-Prognose wird die globale Wirtschaft heuer die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg erleben. Die Wirtschaftsleistung soll um 5,2 Prozent schrumpfen. Besonders betroffen sind die Industrieländer, für die ein Minus von 7 Prozent prognostiziert wird, die Eurozone soll sogar um 9,1 Prozent schrumpfen. Die Krise wird große Wunden und Herausforderungen hinterlassen. Ich fürchte, dass die Erholung der Weltwirtschaft nach der Krise schleppend erfolgen wird und die Auswirkungen die verletzlichsten Teile der Wirtschaft überproportional treffen werden. Wirtschaftszweige, die von Grenzschließungen betroffen waren oder einen engen Kontakt voraussetzen, wie Tourismus, Unterhaltungsbranche, Reiseverkehr und Gastgewerbe werden nicht so bald wie zuvor arbeiten können. Sollte die Pandemie in der zweiten Jahreshälfte weitgehend unter Kontrolle gebracht werden, bin ich überzeugt, dass die Erholung auf Grund der Unterstützungs- und Konjunkturmaßnahmen in Österreich schneller voranschreiten wird, als in anderen Ländern, wo es durchaus einige Jahre dauern kann, damit die Unternehmen auf die Beine kommen. Alles in allem wird eine Erholung nur mit mehr Vertrauen wieder Fahrt aufnehmen können – und Voraussetzung für dieses Mehr an Vertrauen ist eine intensivere globale Zusammenarbeit als bislang. Was man ja bei allem nie vergessen darf, dass hinter den Zahlen sich auch Schicksale verbergen. 

Ihrer Meinung nach, wird es eine industrielle Relokalisierung von Ost nach West geben?

Heutzutage ist jede Produktion auf – oft nur wenige – Lieferanten und Abnehmer angewiesen. Sobald es in dieser Kette eine Störung gibt, kommt die Maschinerie ins Stocken. Spezialisierung, Globalisierung, Auslagerung der Produktion und Verkleinerung der Lager haben zwar Effizienzgewinne ermöglicht – allerdings um den Preis, dass das Wirtschaftssystem an Resilienz einbüßte (also anfälliger für Störungen wurde). Lieferausfälle können sich im Extremfall zum Kollaps ganzer Wirtschaftszweige führen. Daher stehen Nearshoring und eine Abkehr vom Single-Sourcing-Konzepten nun im Fokus. Denn die vergangenen Wochen sollten in einigen Wirtschaftsbereichen durchaus als Weckruf verstanden werden. Als Lehre aus der Krise will Österreich daher seine Industrie künftig unabhängiger vom Rest der Welt aufstellen. Um ähnliche Schocks zu vermeiden, ist es wichtig, die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit unserer strategischen Wertschöpfungsketten zu stärken. Nur dürfen wir dabei nicht Wirtschaftsstandort und Internationalisierung gegeneinander ausspielen oder gar unsere internationalen Geschäftsbeziehungen gefährden. Wir brauchen kein „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-als-auch“. Ja, wir brauchen sensible Schlüsselindustrien bei uns im Land, aber gleichzeitig den Welthandel. Fairness und Partnerschaften lauten die Handlungsmaximen. Und dafür gibt es auch internationale Handelsabkommen, die für ein kleines Land wie Österreich viele Türen öffnen.

Experten machen verschiedene Ankündigungen über die Szenarien dieser Pandemie, von der Behauptung, dass im Herbst eine zweite Welle erwartet wird, bis zu der Behauptung, dass es keine geben wird. Wie ist Ihre Meinung, wurde das Weltwirtschaft noch ein Lockdown überleben? 

Die ganze Welt muss momentan eine Wirtschaftskrise bewältigen. Daher ist es umso wichtiger, eine zweite Welle zu verhindern, denn diese könnte kaum ein Unternehmen und möglicherwiese auch kein einzelnes Land mehr bewältigen. Daher kann und will ich mir keinen zweiten Lockdown vorstellen. Nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Mit einer zweiten Welle würde die Wirtschaftsleistung laut OECD um weitere 1,5 bis 2 Prozentpunkte zurückgehen. Bereits aus heutiger Sicht wird der internationale Warenhandel wegen der Coronavirus-Pandemie heuer ohnehin viel stärker einbrechen als die Wirtschaftsleistung. Aber auch für Österreichs Exportwirtschaft rechnet das Wirtschaftsforschungsinstitut schon jetzt mit einem Rückgang der Ausfuhren um 12 bis 22 Prozent; da brauchen wir auch ohne zweite Welle einige Jahre, um diesen Rückgang wieder aufzuholen. Österreich hat eine Exportquote von über 55 Prozent des BIP. Der Export ist also die Wohlstandsquelle Österreichs und die internationalen Handelsbeziehungen seine Lebensadern. Nachdem die heimischen Exportbetriebe erst im Vorjahr einen neuen Export-Rekord aufgestellt haben, wird Österreich dieses Jahr mit dem Neustart des Exports beschäftigt sein. Daher präsentiert die AUSSENWIRTSCHAFT mit dem WKÖ-Exportradar (wko.at/exportradar) den heimischen Exporteuren neue Perspektiven auf den Weltmärkten und informiert über die aktuelle weltweite Coronavirus-Situation. Es zeigt den Betrieben, wo bereits jetzt neue Chancen entstehen und wie sich die Weltmärkte entwickeln werden.

 Svetlana Nenadovic-Glusac