Kurz dreht den Spieß um: “Es wird Lagerbildung betrieben”

„Teile der Opposition versuchen, unsere Gesellschaft zu spalten“, kritisiert Sebastian Kurz.


© Bild: Kurier/Jeff Mangione

KURIER: Was war 2018 positiv, was war schwierig?

Sebastian Kurz: Von allem viel. Es ist  grundsätzlich schwierig, bei GegenwindReformen durchzuführen. Auch wenn man vieles schon seit langem für sinnvoll hält: die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger etwa, oder eine Reform der Mindestsicherung, wo sich Arbeiten auszahlen muss. Positiv ist, dass wir erstmals nach 60 Jahren die Schuldenpolitik beendet und unser Budget unter Kontrolle gebracht haben. Wir machen keine neuen Steuern, sondern reduzieren die Steuerlast. Und wir haben erste Schritte gesetzt, um Ordnung in die Migrationsfrage zu bringen.

Im nächsten Halbjahr herrscht EU-Wahlkampf. Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat sich im KURIER-Gespräch zwar als glühenden Europäer bezeichnet, gleichzeitig aber den EU-Kurs als überholt kritisiert. Fühlen Sie sich angesprochen? Schließlich waren Sie als EU-Ratsvorsitzender mitverantwortlich.

Ich glaube nicht, dass er mich persönlich gemeint hat. Den Ratsvorsitz hatte die Republik. Und da hat man vor allem die Aufgabe, Kompromisse zu schließen.

Er sprach vom Merkel-Macron-Kurs.

Es ist zwar für die EU gut, wenn es eine enge Beziehung zwischen Deutschlandund Frankreich gibt. Aber kleinere und mittlere Mitgliedsstaaten müssen genauso mitbestimmen können. Die Haltung der ÖVP ist klar: Wir sind die europäische Kraft und wollen ein starkes Europa, in dem eng kooperiert wird, wo es nötig ist. Wir kämpfen aber auch für ein Europa der Subsidiarität, in dem sich die EU bei Themen zurücknimmt, bei denen Mitgliedsstaaten besser selbst entscheiden.

Werden Sie mit der FPÖ im EU-Wahlkampf streiten?

Wir werden eine inhaltliche Auseinandersetzung führen. Hart in der Sache, respektvoll im Ton: Solange das so bleibt, sehe ich kein Problem für die Koalition.

Harald Vilimsky gegen Othmar Karas. Das geht?

Ich bemühe mich um einen neuen Stil: andere nicht anzupatzen. Nicht alle Persönlichkeiten und Parteien tun es mir gleich. Aber die Wähler finden es gut. Es würde unserer Demokratie guttun, wenn die Diskussion sachlicher und weniger emotional wäre.

Der pro-europäische Grundkonsens in der Regierung hält?

Sicher. Die Meinungsverschiedenheiten, die es jeden Tag gibt, werden intern geklärt. Meine Bedingung für diese Koalition war eine pro-europäische Ausrichtung.

Sie wurden kritisiert, dass Sie sich zu sogenannten „Einzelfällen“ der FPÖ nicht geäußert haben: vom rassistischen „Ali-Video“ zum E-Card-Missbrauch bis zum Fall Waldhäusl (Stacheldraht rund um ein Asylheim, Anm.).

Beides habe ich klar kritisiert.

Könnte es sein, dass sich die FPÖ zwar immer entschuldigt, solche Dinge aber mit Kalkül macht, weil es bei ihrer eigenen Klientel gut ankommt?

Ich kann nur für meine Partei sprechen. Wir sind zwei Parteien mit unterschiedlichen Zugängen. Daher wird es natürlich immer wieder Reibung geben. Bei antisemitischen Fehltritten sind viele in der FPÖ ausgeschlossen worden, was ich auch für wichtig erachte.

In den sozialen Medien geht es rau zu: Dass Kanzler und Vizekanzler als „Basti und Bumsti“ bezeichnet werden, ist da noch das Harmloseste. Ärgert Sie das? Verändert es Ihre Politik?

Ich suche mir sehr genau aus, von wem mir Kritik wichtig ist. Ich habe ein großes Umfeld an Menschen, die ich schätze. Wenn die mich kritisieren, nehme ich mir das zu Herzen. Aber ich lasse mich nicht durch Postings oder Kommentare verunsichern. Da wäre ich der Falsche für den Job. Viele Politiker lassen sich von Medien und Meinungsumfragen beeinflussen. Langfristig ist man damit nicht erfolgreich.

Gerade bei Ihnen heißt es, dass Sie Politik nach Umfragen machen.

Das entspricht nicht der Realität. Ich habe schon sehr oft unpopuläre Positionen vertreten. Zu Beginn der Flüchtlingskrise war ich im Gegensatz zu anderen nicht für eine Politik der offenen Grenzen, obwohl das damals populär war.

Nehmen Sie sich eigentlich Kritik der Opposition zu Herzen? SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wirft Ihnen vor, dass Sie soziale Kälte verbreiten und die Gesellschaft spalten, weil Sie Gruppen gegeneinander ausspielen.

Die Sozialdemokratie hat sich zu Beginn dieser Bundesregierung ein paar Begriffe zurechtgelegt, die sie immer wieder verwendet: „soziale Kälte“ oder „Politik für Reiche“. Die erste Gruppe, die wir entlastet haben, waren Kleinverdiener mit einem Einkommen von weniger als 1950 Euro brutto. Die zweite Gruppe waren Familien. Die Sozialdemokratie kann auch weiterhin behaupten, wir machen eine Politik für die Reichsten des Landes. Es entspricht nur nicht der Realität, und die Wählerinnen und Wähler merken es auch.

Wieso merken sie es?

Der einfache Arbeiter sieht, dass er mehr verdient als vorher. Und Familien merken, dass sie weniger Steuern zahlen und ihnen mehr über bleibt. Manche müssen erst in die Oppositionsrolle hineinfinden, aber ich habe kein Problem damit, wenn das noch ein bisschen dauert.

Der ÖGB kämpft gegen den 12-Stunden-Tag, und dass die Sozialpartner nicht mehr ernst genommen werden.

Gegen die Arbeitszeitflexibilisierung wurde demonstriert, weil den Leuten eingeredet wurde: Alle Menschen müssen 12 Stunden am Tag und 60 Stunden die Woche arbeiten und bekommen weniger Gehalt dafür. Seit 1. September ist die Neuregelung in Kraft, und siehe da, es gibt keine Aufregung mehr. Es gibt Menschen, die gern freiwillig für gutes Geld mehr arbeiten, weil sie zum Beispiel gerade ein Haus bauen. Was das Spalten betrifft: Ja, manche Teile der Opposition versuchen wirklich, das Land und unsere Gesellschaft zu spalten.

Inwiefern?

Indem versucht wird, Lagerbildung zu betreiben, anstatt demokratische Prozesse zu respektieren. Es ist legitim, demonstrieren zu gehen. Aber es ist auch legitim, dass eine Regierung, die die Mehrheit im Parlament und die Wählermehrheit hinter sich hat, auch regiert. Und was die Sozialpartner betrifft: Ich habe ein gutes Verhältnis zu den Sozialpartnern. Ich freue mich über jedes Thema, das sie lösen. Aber sie sind keine Schattenregierung.

Wann kommt die Steuerreform?

Die ersten Schritte sind ja schon gesetzt worden. Der Familienbonus tritt am 1. Jänner in Kraft. Die nächsten Schritte beschließen wir im ersten Halbjahr 2019. Ab 2020 wird es weitere Steuerentlastungen für Familien, für mittlere und kleine Einkommen geben. Und wir werden parallel zu den europäischen Vorarbeiten auch eine österreichische Digitalsteuer einführen. Laut den Plänen der EU-Kommissionsollte eine europäische Digitalsteuer weltweit tätige Internetgiganten mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro betreffen. Die digitale Wirtschaft zahlt in Europa rund neun Prozent Steuern, die traditionelle Wirtschaft bezahlt zwischen 20 und 25 Prozent Steuern. Da geht es um mehr Gerechtigkeit. Daher führen wir auch in Österreich eine Digitalsteuer auf Konzerne ein.

Man hat den Eindruck, dass Sie Unpopuläres nicht angehen wollen, wie zum Beispiel die Eurofighter nachzurüsten oder eine Pensionsreform.

Das gesetzliche Pensionsantrittsalter wollen wir nicht anheben, weil das tatsächliche vom gesetzlichen noch sehr weit entfernt ist. Zur Luftraumüberwachung: Ich bin selbstverständlich für eine ordentliche Ausstattung des österreichischen Bundesheers, aber ich bin auch dafür, dass man hier sparsam mit Steuergeldern umgeht.

Wie stehen Sie zur Kirche und deren Flügel?

Ich bin ein gläubiger Mensch und habe ein gutes Verhältnis zu Kardinal Schönborn und vielen Würdenträgern der katholischen Kirche. Dennoch finde ich die Trennung zwischen Kirche und Staat gut. Und ich bin dankbar, dass kirchliche Organisationen einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren unseres Sozialwesens leisten.

Manche Exponenten der Caritas stehen Ihnen aber kritisch gegenüber.

Das hängt von den unterschiedlichen Aufgaben ab. Sie haben die Aufgabe, Interessenspolitik zu machen für bestimmte Gruppen, auf die nicht vergessen werden darf. Ein Regierungschef muss das gesamtstaatliche Gefüge im Auge haben. Die Katholische Kirche in Österreich ist eine breite Volkskirche, daher gibt es Leute jeden politischen Spektrums dort.

Bedauern Sie, den Ausdruck „NGO-Wahnsinn“ gebraucht zu haben?

Das war bei einem Besuch von Rettungskräften im Mittelmeer im Frühjahr 2017. Sie erzählten mir, wie sie damit umgehen, dass wieder Menschen – teilweise vor ihren Augen – ertrunken sind. Wer das als pauschale NGO-Kritik verstanden hat, hat mich bewusst falsch interpretiert. Wozu ich zu 100 Prozent stehe: Ich halte es für falsch, dass sich NGOs (Hilfsorganisationen) im Mittelmeer mit Schleppern absprechen und so die Arbeiten der staatlichen Küstenwache teils behindern. Dass diese Ansicht nicht ganz falsch sein kann, zeigt der Beschluss aller Regierungschefs aus allen politischen Parteien in Europa, dass es Regeln für NGOs geben soll. Die NGO-Tätigkeit im Mittelmeer wurde inzwischen de facto eingestellt.

Innenminister Herbert Kickl will keine zusätzlichen Beamten für Frontex zur Verfügung stellen, Ihr Finanzminister ist stolz, im EU-Haushalt 2019 für den Frontex-Ausbau vorgesorgt zu haben. Wie passt das zusammen?

Wir leisten einen übergroßen Beitrag zu Frontex und werden das auch weiterhin tun. Wenn zusätzliches Personal nötig ist, werden wir das natürlich zur Verfügung stellen.

Wie viel wollen Sie bei der EU-Wahl erreichen?

Wir waren schon letztes Mal gut.

27 Prozent und Platz eins ist Ihr Ziel?

Ja, natürlich!

(kurier.at)

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