S. E. Ümit Yardim ist neu ernannter Botschafter der Türkei in Wien, wurde 1961 geboren, kommt aus der Stadt Denizli, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er begann seine Karriere im türkischen Außenministerium im Jahr 1985 und sein Werdegang führte ihn in verschiedene Städte: Islamabad, Moskau, Athen, Baku, Lissabon, Komotini und Stuttgart. Seine erste Amtszeit als Botschafter hatte er 2010 in Teheran, darauf folgte 2014 Moskau und seit Januar dieses Jahres ist S.E. Ümit Yardim türkischer Botschafter in Wien.
Für das Magazin „Diplomacy and Commerce Austria“ sprachen wir mit S.E. Ümit Yardim über die Anzahl der türkischen Diaspora in Österreich, darüber, ob die Türkei die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstrebt, über die Beziehungen zu Russland und dem Mittleren Osten, sowie die derzeitigen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich und die Hauptpotenziale der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ländern.
Sie sind langjähriger Diplomat, haben Sie sich schon daran gewöhnt, sich immer an neuen Orten niederzulassen?
Selbstverständlich verbringt man als Diplomat die größte Zeit seines Lebens im Ausland, in unterschiedlichen Ländern, man lernt unterschiedliche Kulturen und Menschen kennen und sammelt neue und schöne Erfahrungen. In dieser Hinsicht ist es aufregend, ein Diplomat zu sein. Ich erlebe jedes Mal diese Aufregung. Es ist nicht so schwer, wie man glaubt, sich an neue Orte zu gewöhnen. Wenn man ein Diplomat ist, dann wird der Wechsel nach einer gewissen Zeit zu einem natürlichen Bestandteil ihres Lebens. Solange man offen ist für Neuigkeiten und Änderungen, dann ist es auch nicht schwer, sich an neue Länder zu gewöhnen. Wenn man für das Land Interesse zeigt und versucht, die Menschen, Kultur und Struktur des jeweiligen Landes kennen zu lernen und zu verstehen, wird es einfacher, sich anzupassen. Außerdem ist das Kennenlernen des Gastlandes eines der wichtigsten Aufgaben eines Diplomaten. Die Menschen und den Reichtum eines Landes zu erkunden, ist keine Herausforderung, sondern ein großes Vergnügen.
Seit ein paar Monaten sind Sie in Wien, haben Sie sich schon eingelebt?
Wie schon erwähnt, erlebe ich als Diplomat die Aufregung der ersten Tage auch hier. Ich zeige Interesse und Neugierde für Österreich. Ich bin erst seit drei bis vier Monaten hier und lerne fast tagtäglich neue Menschen und neue Themen kennen und lerne Neues dazu. Diplomatie bedeutet auch, die Aufregung, Disziplin und Freude als Diplomat vom ersten bis zum letzten Tag des Berufs zu verspüren.
Ich hatte in den letzten Monaten die Möglichkeit Wien kennenzulernen. Wien ist eine reiche und historische Stadt in kultureller und künstlerischer Hinsicht. Österreich kann sich glücklich schätzen, solch eine Hauptstadt zu haben. Das gleiche gilt ebenfalls für uns als Diplomaten. Außerdem habe ich damit begonnen, andere Regionen und Bundesländer zu besuchen. Ich werde diese Besuche in naher Zukunft fortsetzen. Es ist wichtig, ein Land zu bereisen und mit Menschen vor Ort zusammenzukommen, um das Land auch tatsächlich kennenzulernen und zu verstehen.
In Wien ist die Türkische Diaspora zahlreich, die türkische Bevölkerung in Österreich ist die zweitstärkste Migrationsgruppe. Haben Sie Einsicht in genaue Zahlen, wie viele Türken in Österreich leben, mit und ohne österreichische Staatsbürgerschaft?
Es leben fast 120.000 türkische Staatsbürger in Österreich. Wir reden von mehr als 300.000 Menschen mit türkischer Herkunft. Die meisten davon sind österreichische Staatsbürger. Die dritte und sogar vierte Generation der Türken haben sich hier verwurzelt. Die türkische Community ist mittlerweile ein fester Bestandteil Österreichs. Von Politik bis zur Wirtschaft, von Wissenschaft bis hin zur Kunst ist es möglich einem Türken zu begegnen. Wir wissen, dass die türkische Community genauso wie andere Gemeinschaften in Österreich einige Probleme und Sorgen in den Bereichen wie Bildung und Beschäftigung hat. Jedoch bin ich zuversichtlich, dass man diese im Laufe der Zeit mit gemeinsamen Bemühungen beseitigen wird. Außerdem erfüllt es mich mit Hoffnung, dass die Zahl derjenigen Türken, die wichtige Positionen übernehmen, gestiegen ist. Ich bin stets stolz auf die türkischstämmigen Menschen in Österreich.
Ist die Türkei auf EU Kurs, strebt die türkische Bevölkerung nach einer EU Mitgliedschaft?
Leider schreitet der Verhandlungsprozess der Türkei nicht wie gewünscht fort. Denn die politischen Hindernisse zur Eröffnung und Schließung von Verhandlungskapiteln bestehen nach wie vor. Außerdem hat sich inzwischen die politische Landschaft in Europa gewandelt. Wir sehen, dass türkeifeindliche populistische und extremistische Strömungen im Aufwind sind.
In der Türkei hat sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren ein positiver Wandel vollzogen. Hier spielt die EU-Perspektive ebenfalls eine Rolle. Die Zollunion und die intensive institutionelle Zusammenarbeit mit der EU haben dazu beigetragen, dass die Türkei in den Bereichen Wirtschaft und Handel das heutige Niveau erreicht hat, und diesen Beitrag kann man nicht abstreiten. Ebenfalls dürfen wir nicht vergessen, dass der EU-Annäherungsprozess bei unseren Reformen und erzielten Fortschritten im rechtlichen wie auch verwaltungstechnischen Bereich als Katalysator gewirkt hat.
So ist die EU weiterhin eine strategische Wahl und ein strategisches Ziel für die Türkei. Wir erwarten dieselbe strategische Einstellung von der EU und ihren Mitgliedsländern. Aber leider hat die EU ihre frühere Einfluss- und Motivationsfähigkeit gegenüber der Türkei verloren. Deshalb ist die öffentliche Wahrnehmung über die EU Mitgliedschaft in der Türkei anders als vor 20 Jahren. Damals war der Anteil derjenigen, die an die Mitgliedschaft glaubten, noch sehr hoch. Heute sehen wir jedoch, dass wir diese Zahlen nicht mehr erreichen.
Andererseits pflegt die Türkei sehr gute Beziehungen zu Russland und dem Mittleren Osten. Sind Sie der Meinung, dass das eine das andere nicht ausschließt (EU auf der einen und Russland bzw. der MO auf der anderen Seite)?
Die Türkei hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren gewandelt. Ebenso hat sich ihre wirtschaftliche, kulturelle und außenpolitische Perspektive erweitert. Heute haben wir eine Türkei, die wirtschaftlich stark ist und außenpolitisch selbstbewusster auftritt. Jetzt haben wir globale Ziele und eine Vision. Dies hat zu Öffnungen in der Außenpolitik geführt. So ist die EU Mitgliedschaft nicht das einzige außenpolitische Thema, das wir heute verfolgen. Für die Türkei sind Beziehungen zu ihren Nachbarn, zu Osteuropa, zum Mittleren Osten, Afrika, Asien, aber auch Lateinamerika auch wichtig. Die Beziehungen zu diesen Regionen werden sich weiterentwickeln. Aber diese sind kein Ersatz für unsere Beziehungen zur EU. Die eine stellt keine Alternative für die andere dar. Das sind Bestandteile unserer Außenpolitik, die sich gegenseitig vervollständigen. Außerdem finde ich es nicht richtig, eine Rangliste der Beziehungen zu machen. Weltweit passieren wichtige internationale und regionale Entwicklungen. Manchmal sind die Beziehungen zu Russland oder zum Mittleren Osten auf der wichtigeren Tagesordnung. Es ist selbstverständlich, dass eine Türkei, die eine globale Perspektive hat, mit allen Ländern, Regionen und Kontinenten eine starke Beziehung und Zusammenarbeit pflegt.
Wie sind Ihrer Meinung nach die derzeitigen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich?
Seit 2015 hat es einen Rückschlag bei den Beziehungen gegeben. Ich will nicht über die Vergangenheit sprechen. Jeder kennt die Gründe dafür. Man muss nur wissen, dass dies Spuren in den Beziehungen hinterlassen hat. Andererseits kann es Hoch und Tiefs in den Beziehungen zwischen den Ländern geben. Wir wollen jetzt unsere Beziehungen auf allen Ebenen intensivieren und stärken.
Seit letztem Jahr wurden auch Schritte in diese Richtung gesetzt. Es gab Kontakte auf hochrangiger Ebene. Die Präsidenten beider Länder haben sich in New York am Rande der UNO-Vollversammlung getroffen. Zwischen unseren Außenministern herrscht eine sehr gute Chemie. Vergangenes Jahr haben sie sich mehrmals getroffen. Es gab auch gegenseitige Besuche. Wir sind zuversichtlich, dass diese hochrangigen Kontakte fortgesetzt werden.
Es gibt viele Bereiche, in denen wir zusammenarbeiten. In den Bereichen, in denen wir uneinig sind, setzen wir unsere Gespräche fort. Das stärkste Instrument der Diplomatie ist, über unsere unterschiedlichen Ansichten zu diskutieren. Ich bin mir sicher, dass wir unsere Beziehungen auf eine höhere Ebene heben können. Dazu braucht es wohl etwas Zeit, aber ist unser Ziel.
Außerdem gibt es zwischen beiden Ländern in vielen Bereichen auf technischer Ebene regelmäßige Konsultationen, die gut funktionieren.
Was sind die Hauptpotentiale der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Österreich?
Türkei und Österreich, deren historische Beziehungen auf Jahrhunderte basieren, gehören zu jenen Ländern, mit der längsten Staatstradition in Europa. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass Türkei und Österreich ehemals Nachbarn waren. Auch wenn wir heute keine gemeinsame Grenze teilen, befinden wir uns in der gleichen Region. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir als Nachbarn einander brauchen. Ich denke, als zwei erfahrene Staaten könnten wir uns vielmehr auf gemeinsame Interessen und Arbeitsbereiche fokussieren.
Wir können unsere Zusammenarbeit in Fragen des Balkan, Mittleren Osten und EU-Prozesseses ausbauen. Dasselbe gilt auch für andere Themen. Wir sind bereit, unsere Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Kultur wie auch militärischen und sicherheitspolitischen Fragen bis zu Zuwanderung und Integration auszubauen.
Des Weiteren sollten wir auch jene Bereiche, in denen die Zusammenarbeit gut funktioniert, mehr und mehr stärken. Österreich zum Beispiel gehört zu den wichtigsten Ländern, die in der Türkei investieren. Ich bin der Ansicht, dass wir das weiter ausbauen können. Ich denke auch, dass das Handelsvolumen von knapp 3 Milliarden Euro nicht das wahre Potenzial unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit widerspiegelt. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Zahl in den kommenden Jahren steigern können.
Darüber hinaus sollten wir die vor uns liegenden Chancen ergreifen. 2021 werden wir ein gemeinsames Kulturjahr zwischen Österreich und der Türkei organisieren. Die Vorbereitungen laufen schon. Wenn wir die kommende Periode gut nutzen, dann könnte das Jahr 2021 in unseren Beziehungen wichtige Akzente setzen.
Das Potenzial der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Österreich ist groß und breit. Es gibt viele Bereiche, die wir bearbeiten können. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns gemeinsam auf diese Themen konzentrieren und Ergebnisse sehen werden.
(Svetlana Nenadovic-Glusac)