29.05. – 08.09.2024
Der US-Amerikaner Gregory Crewdson (*1962, Brooklyn) zählt zu den international renommiertesten Fotografen. In der Kulisse amerikanischer Kleinstädte und auf Filmsets entwirft Crewdson seit Mitte der 1980er-Jahre gleich einem Regisseur technisch brillante und farblich verführerische Inszenierungen, die menschliche Einsamkeit und die Abgründe der Gesellschaft zum Thema haben. Die rätselhaften Szenen werfen auf selbstreflexive Weise die Frage nach der Grenze zwischen Fakt und Fiktion auf, lassen sich aber auch mit sozial[1]politischen Entwicklungen in Beziehung setzen.
Die Retrospektive in der ALBERTINA umfasst insgesamt neun Werkgruppen, die in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten entstanden und seriell angelegt sind. Am Beginn der Ausstellung steht das Frühwerk Early Work (1986-1988) Crewdsons fotografische Abschlussarbeit an der Yale University School of Art. Sie zeigt unter anderem die Bewohner:innen der Kleinstadt Lee, Massachusetts, in ihrem häuslichen Umfeld. Mit noch relativ geringem Aufwand verwandelt Crewdson reale Orte in geheimnisvolle Szenen, die die Vorstadt als Ort der Isolation und Beklemmung darstellen.
Ebenfalls zu sehen ist Crewdsons berühmte Serie Twilight (1998-2002). In den von der Sprache des Kinos geprägten Szenen werden Menschen in ihrem Alltag mit unerklärlichen Phänomenen konfrontiert. Die von Crewdson als “Single-Frame-Movies” bezeichneten Fotografien weisen vielfältige Bezüge zur klassischen Malerei und zur Populärkultur auf.
Die geheimnisvollen Szenen aus der Serie Beneath the Roses (2003-2008), die in eindrucksvollen Großformaten festgehalten sind, kreisen um das Thema der Einsamkeit und der Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt.
Die jüngste Serie Eveningside (2021-2022) ist in atmosphärischem Schwarzweiß gehalten und zeichnet das unheroische Bild einer gleichnamigen fiktiven Kleinstadt. Crewdsons Arrangements positionieren die Dargestellten durch eine vom Film Noir beeinflusste Beleuchtung und raffinierte Motive wie Schaufenster und Spiegel im Raum.
Die Arbeit ist neben den Serien Cathedral of the Pines (2013-2014) und An Eclipse of Moths (2018-2019) Teil einer Trilogie, in der der Künstler den sozialen Niedergang der Gesellschaft jenseits des amerikanischen Traums untersucht. Crewdsons großformatigen Fotos geht eine monatelange Planung voraus; sie entstehen unter Mitwirkung von bis zu hunderten Personen aus Casting-, Kostüm-, Technik- und Art Departments. Der höchst aufwendige Gestaltungsprozess, der eine umfassende Postproduktion bedingt, in der die endgültigen Fotografien aus mehreren Aufnahmen zusammengesetzt werden, ist bezeichnend für Crewdsons Schaffen. In einer großzügigen Geste geht die Ausstellung mit einer bedeutenden Schenkung an die Fotosammlung der ALBERTINA einher.
Diese umfangreiche Eingliederung an Werken verstärkt den Sammlungsschwerpunkt an zeitgenössischer Fotografie wesentlich.