Ai Weiwei In Search of Humanity – Nur noch bis 4. September

Ai Weiwei – berühmt als Menschenrechtsaktivist – zählt zu den einflussreichsten Künstlern unserer Zeit. Seine bislang umfangreichste Retrospektive gibt Einblick in alle Schaffensphasen seiner mehr als vier Jahrzehnte währenden Laufbahn und lässt seine unvergleichbaren ästhetischen Gestaltungsprinzipien erkennen.

Überraschende Rätselhaftigkeit 

Die frühen Objekte Ais verknüpfen logisch und funktional nicht zusammengehörige Gegenstände zu einer überraschenden Rätselhaftigkeit: Eine Schaufel zieht sich einen warmen Pelz über, zwei Schuhe paaren sich wie ineinander verkeilte Mistkäfer. Er befreit die Dinge von ihrem Gebrauchswert und fügt Fundstücke zu einer neuen Objektwelt zusammen.

Ai Weiwei, Circle of Animals/Zodiac Heads (Gold), 2010 12 Bronzestatuen, vergoldet, auf Holzgestellen / Privatsammlung / Foto: Albertina, Wien / Lisa Rastl & Reiner Riedler © 2022 Ai Weiwei

Dekonstruktion

Fragmente, Deformationen und Überreste aller Arten bevölkern Ais Werk. In ihm spiegelt sich das Erlebnis der schrecklichen Jahre der “Kulturrevolution”, ihres Vernichtungsfeldzugs im Dienst der maoistischen Umerziehung des Volkes. Das ästhetische Prinzip der Destruktion sensibilisiert den Künstler für die Entdeckung zerstörter Skulpturen, deren Fragmente Ai wie kostbare Reliquien präsentiert. Später – unter dem Eindruck der bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien – fahndet er nach Bruchstücken, die die Zerstörungswut von Krieg anprangern.

Ai Weiwei, Forever Bicycles, 2003 / 42 Fahrräder / Privatsammlung / Foto: ALBERTINA, Wien / Lisa Rastl & Reiner Riedler © 2022 Ai Weiwei

Readymades

All diese Readymades – das Laufband von Julian Assange oder der mit geheimem NSAMaterial gefüllte Stoffpanda – lassen uns die Welt auf ungebräuchliche Weise wahrnehmen. Ohne das Arrangement der von Flüchtlingen am Strand hinterlassenen Schwimmwesten, die sich wie eine Lotosblume um eine tonnenschwere Kristallkugel legen, würde die Katastrophe der Migranten bald wieder unanschaulich werden: vergessen durch Gewöhnung.

Ai Weiwei, Illumination, 2019 / LEGO-Bausteine / Courtesy of the artist / Foto: Courtesy of the artist and Lisson Gallery © 2022 Ai Weiwei

Metamorphose

Ein weiteres Gestaltungsprinzip ist die Metamorphose. Die Verwandlung mittels Marmor etwa setzt den Dingen ein Denkmal: Es sind Erinnerungen an seine Kindheit, Traumata seiner Gefangenschaft, Türen abgerissener Häuser, die der Modernisierung Chinas zum Opfer gefallen sind. Ai präsentiert seine Handschellen im kostbaren Gefäß einer edlen Vitrine oder stellt steinerne Monumente auf einen Sockel. Ertrunkene Flüchtlinge, von Heuschrecken leergefressene Kornfelder oder die Navigationsroute der Sea-Watch 3 baut Ai aus bunten Legosteinen zu beunruhigenden Bildern. Lego, das berühmteste Spielzeug der Welt, verliert seine kindliche Unschuld. Der visuelle Scherz bekommt eine tiefere Bedeutung. Die von diesen Metamorphosen ausgehende Verwirrung, die Verwandlung von Dingen in unbrauchbare Monumente, öffnet das Tor zu weitreichenden politischen Assoziationen und Interpretationen. Nie war Konzeptkunst anschaulicher, sinnlicher und engagierter.

Ai Weiwei, Dropping a Han Dynasty Urn, 1995 / Schwarz-weiß Fotografien (Triptychon) Privatsammlung / Foto: Courtesy Ai Weiwei Studio © 2022 Ai Weiwei
Ai Weiwei, Crystal Ball, 2017 Kristall, Rettungswesten / Courtesy of the artist and neugerriemschneider, Berlin / Foto: Courtesy Ai Weiwei Studio © 2022 Ai Weiwei

ALBERTINA MODERN

bis 4. September 2022

Karlsplatz 5

 bis 4. September 2022