Die Covid-19-Pandemie hat zu beispiellosen Herausforderungen bei den laufenden operativen Aktivitäten der globalen Industrie, dem Handel und der Wirtschaft geführt. Die Weltwirtschaft wurde für mehrere Monate gezwungen, auf die Notbremse zu treten.
Durch die restriktiven Maßnahmen und den Lockdown,den die Regierungen rund um den Globus durchgeführt haben, wurde die Wirtschaft in einen Winterschlaf versetzt.
Vorsichtig wird die Wirtschaft in jedem Land wieder hochgefahren.Alle Wirtschaftszweige sind von der Krise – ausgelöst vom Coronavirus – davon betroffen, ohne Ausnahme.
Wie hat sich die Krise auf die Weltwirtschaft ausgewirkt und wie sind die Prognosen für die Zukunft? Darüber haben wir mit Wirtschaftsexperten und Vertretern der ausländischen Wirtschaftskammern in Wien, sowie HandelsvertreterInnen aus Handelsabteilungen und Wirtschaftsdelegierten aus der Diplomatie in Österreich gesprochen.
Wir sprachen für Diplomacy and Commerce Austria mit Daisaku Sugihara, Botschaftsrat und Leiter der Abteilung für Wirtschaftliche Angelegenheiten der Japanischen Botschaft in der Republik Österreich.
Wie schätzen Sie die Lage ein, stehen wir vor einer ernsthaften Krise, die lange andauern wird, oder vor einer raschen Erholung der Wirtschaft?
Soviel ich weiß, können weder die japanische Regierung, noch internationale Regierungen und Organisationen die Möglichkeit einer zweiten Welle ausschließen. Die Gefahr ihrer Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft bleibt bestehen, bis wir über ein effektives Medikament oder eine Impfung gegen COVID-19 verfügen. Natürlich stehen auch japanische Wissenschaftler und Firmen an der vordersten Front der Suche nach einem Heilmittel. Das Ziel der japanischen Regierung ist es, in dieser Zeit der Unsicherheit die Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit der japanischen Wirtschaft optimal zu verbessern. Japan muss in der Lage sein, rasch auf ökonomische Veränderungen zu reagieren und im schlimmsten Fall auch eine zweite globale Welle durchzustehen. Wir hoffen aber, dass wir im nächsten Jahr mit den Olympischen Spielen in Tokio gleichzeitig den Sieg der Menschheit über die Corona-Pandemie feiern können.
Inwieweit haben die staatlichen Maßnahmen Ihres Landes bisher dazu beigetragen, die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft durch die COVID-19-Pandemie zu verringern?
Die japanische Regierung hat zweimal, einmal im April und einmal im Juni, das Budget um mehrere Milliarden Yen aufgestockt, um der Krise durch Hilfsleistungen begegnen zu können. Insgesamt beträgt das Hilfspaket der Regierung 230 Billionen Yen (ca. 1.9 Milliarden Euro) oder 40% des BIP. Es ist die weltweit größte Maßnahme zum Schutz und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.
Das Paket beinhaltet verschiedenste Hilfen, zum Beispiel für Angestellte in Kurzarbeit, Finanzierungsmöglichkeiten für Betriebe, Mietunterstützung für KMUs, Unterstützung für medizinische Programme und Forschung im Rahmen der COVID-19 Bekämpfung und noch viele verschiedene Direkthilfen, auch an Bürger. Geld aus dem Hilfspaket wird aber auch für Maßnahmen zur Verhinderung einer zweiten Welle verwendet.
Der Wirtschaftssektor öffnet und erholt sich ebenfalls langsam. Wie schätzen Sie die Entwicklung in Ihrem Land ein, und wie auf die Globale ebene?
In einer Rede, die Premierminister Shinzō Abe am 18. Juni vor der National Diet hielt, sprach er ausführlich über Japans Politik der schrittweisen Wiederherstellung der sozioökonomischen Aktivitäten bei gleichzeitiger Prävention von Neuinfektionen. Die Coronakrise hat aber auch die Arbeit selbst verändert. Wir müssen diese neuen Trends weiter befolgen und beschleunigen. Ein Beispiel: Während der Coronakrise ist Telearbeit sehr populär geworden. Besprechungen werden nicht mehr persönlich, sondern via Videokonferenz abgehalten, die physische Entfernung ist kein Hindernis mehr. Laut einer Umfrage gibt es einen signifikanten Anstieg der Zahl junger Menschen in den Zwanzigern, die ihren Arbeitsplatz in ländliche Gebiete verlegen wollen. Das ist eine große Chance für die wirtschaftliche Entwicklung von Gebieten, die bisher unter starker Abwanderung litten. Eine solche Entwicklung macht unsere Gesellschaft auch weniger anfällig für zukünftige Pandemien.
Auf globaler Ebene arbeitet Japan mit seinen internationalen Partnern – wie z.B. den G-20, aber auch anderen internationalen Organisationen – eng beim ökonomischen Wiedererstarken zusammen. Die Nachwirkungen der Krise sind die größten seit dem Zweiten Weltkrieg und wir alle werden sie sicher noch länger zu spüren haben. Ob national oder global, wir müssen unsere Anstrengungen auf den Schutz der Arbeitsplätze und des Lebens konzentrieren, das Ansteckungsrisiko unter Kontrolle halten und so die Wirtschaft auf eine solide Grundlage heben. Japan darf sich nicht isolieren. Wir müssen zwar die internationale Reisetätigkeit im Hinblick auf Infektionen gut beobachten, aber zum Wohle der Wirtschaft, besonders des Handels wieder in Gang bringen. Zuerst konzentrieren wir uns auf Länder, in denen sich die Infektionszahlen ebenso auf niedrigem Niveau stabilisiert haben und werden den Geschäftsverkehr schrittweise wieder aufnehmen. Die Task Force der Regierung hat soeben beschlossen, in dieser Angelegenheit, Gespräche aufzunehmen. Dazu gehören natürlich auch verstärkte Testungen. Wir sind mit japanischen Wirtschaftsvertretern im Gespräch, um zum Beispiel ein PCR-Testzentrum für Auslandsreisende zu errichten.
Wir müssen die durch Corona verloren gegangene geschäftliche Routine allmählich wiedergewinnen. Diese Phase darf aber nicht nur mit einer bloßen Überwindung der Infektionskrankheit enden, sondern wir müssen über eine neue Zukunft in einer Welt nach Corona nachdenken, über ein neues, starkes Japan.
Experten auf der ganzen Welt machen verschiedene Ankündigungen über die zukünftigen Szenarien dieser Pandemie, von der Behauptung, dass im Herbst eine zweite Welle erwartet wird, bis zu der Behauptung, dass es überhaupt keine zweite Welle geben wird. Bereiten Sie sich auf beide Szenarien vor und was passiert, wenn das, was alle befürchten, ein neuer Lockdown erneut eintritt? Wird es zusätzliche Maßnahmen geben?
Japan hat im Grunde seine zweite Welle schon hinter sich. Ende Jänner, die erste Welle schwappte direkt aus China über nach Japan. Wir reagierten mit einer Einreisesperre für Reisende aus der chinesischen Hubei Provinz und erweiterten diese später, als die Epidemie begann, sich weltweit auszubreiten. Im Februar wurden wir noch zusätzlich mit dem Ausbruch von Covid auf der Diamond Princess konfrontiert. Große Veranstaltungen wurden landesweit abgesagt und die Schulen temporär geschlossen. Damit schaffte Japan es, die erste Welle aus China zurückzudrängen.
Eine zweite Welle breitete sich dann aus Europa und den Vereinigten Staaten kommend in Japan aus. Da unser Gesundheitssystem dadurch extrem belastet wurde, rief Premierminister Abe im April den Notstand aus. Mit scharfen Restriktionen haben wir es geschafft, die Pandemie in Japan wieder unter Kontrolle zu bringen und der Notstand konnte am 25. Mai wieder aufgehoben werden. Derzeit sind wir dabei, die japanische Gesellschaft und Wirtschaft Schritt für Schritt hin zu einer neuen Normalität des Alltags im Zeitalter des Coronavirus zu führen.
Japan hat aus diesen beiden Wellen viel gelernt. Aufbauend auf diese Erfahrung setzen wir stark auf die Vermeidung neuer Cluster und striktes Contact Tracing bei Neuinfektionen. Die Bevölkerung ist aufgerufen, Menschenansammlungen, besonders in engen Räumen zu vermeiden.
In seiner letzten Rede hat Premierminister Abe wieder darauf hingewiesen, dass wir unsere Denk- und Herangehensweise ändern müssen. Gegenmaßnahmen, die alle sozioökonomischen Aktivitäten blockieren können längerfristig nicht durchgehalten werden. Wir müssen sicherstellen, dass die Wirtschaft läuft, aber gleichzeitig das Infektionsrisiko so gering wie möglich halten. Die Beobachtung und Vermeidung neuer Infektionscluster ist daher für Japan der ideale Weg. Unsere Experten arbeiten kontinuierlich an Verbesserungen des Systems unter Einbezug der neuesten Erkenntnisse und Technologien. Natürlich gehören dazu auch breit angelegte Testreihen, seien es PCR basierte Tests oder Antikörpertests. Auch hier arbeiten wir an Verbesserungen der Testqualität und –kapazität.
Die Unberechenbarkeit des Coronavirus macht es unmöglich, die Wiederholung eines Lockdowns in der Theorie auszuschließen. Jedoch ist eine solche Maßnahme landesweit nicht tragbar und muss daher vermieden werden. Ein Lockdown darf sich schlimmstenfalls nur auf einen Bezirk oder ähnlichen, eng definierten Raum beschränken.
(Svetlana Nenadovic-Glusac)