Das Kunsthistorische Museum widmet sich in seiner großen Herbstausstellung 2023 einem aus der Repräsentations- und Festkultur der Renaissance nicht wegzudenkenden Medium: monumentalen Tapisserien. Im Zentrum steht die vom bedeutenden Maler Raffaello Sanzio da Urbino, gen. Raffael (1483–1520), entworfene Serie mit Darstellungen des Lebens und der Wundertaten der Apostel Petrus und Paulus. Die Ausstellung skizziert den nachhaltigen Einfluss von Raffaels Kompositionen auf die stilistische Entwicklung, insbesondere der flämischen Wandbehänge. Sie wurden von namhaften Künstlern wie Barend van Orley, Michiel Coxcie und Pieter Coecke van Aelst aufgegriffen. Letzterem sind u. a. die Entwürfe einer spektakulären, selten gezeigten Serie Die sieben Todsünden zu verdanken, die einen weiteren Schwerpunkt der Präsentation bildet.
Wie kaum ein zweites bildnerisches Medium wurden die riesigen Wandteppiche mit hoher politischer Aussagekraft von Adelshäusern sowie von der katholischen Kirche zu propagandistischen Zwecken herangezogen. Ihr luxuriöser Charakter kam allein schon durch die Verwendung teurer Materialien wie Gold- und Silberfäden, Seide und Wolle sowie durch die langjährige und damit kostenintensive Anfertigung zum Ausdruck. Die TapisserieSammlungen des Kunsthistorischen Museums aus ehemals kaiserlichem Besitz gehören zu den weltweit bedeutendsten ihrer Art.
Raffaels Aposteltapisserien für die Sixtinische Kapelle
Wie die flämische Tapisserie-Kunst sich ohne den kunstsinnigen Medici-Papst Leo X. (1475– 1521) entwickelt hätte, ist ungewiss. 1515 entschied er sich, die zehnteilige Apostelserie für die Sixtinische Kapelle in Auftrag zu geben und betraute Raffael, der sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Karriere befand, mit dem Entwurf.
Die von Raffael wie Monumentalgemälde angelegten originalgroßen Vorlagen überführte die Brüsseler Manufaktur des Pieter van Aelst meisterlich in das textile Medium. Zum Weihnachtsfest 1519 waren bereits sieben Tapisserien fertiggestellt und konnten am Bestimmungsort präsentiert werden. Giorgio Vasari (1511–1574), italienischer Künstler und Künstlerbiograf, zeigte sich begeistert:
»Das Werk erscheint eher als ein Wunder denn als das Werk eines Menschen, weil es in ihm Wasser, Tiere, Häuser gibt, die so gut gemacht sind, dass sie nicht wie gewebt, sondern wie mit dem Pinsel gemalt erscheinen.«
Sechs dieser Wandbehänge nach Raffaels Entwürfen bilden den Auftakt der umfangreichen Ausstellung. Zu ihnen gehört die eindrucksvolle Tapisserie Der Tod des Ananias – eine Leihgabe aus den Vatikanischen Museen.
Tapisserie-Kunst in der Nachfolge Raffaels
Raffaels Tapisserien wurden in Brüssel von den heimischen Malern bewundert und rezipiert. Neben Tapisserien nach den Entwürfen des italienischen Genies geben die präsentierten Wandbehänge aus vornehmlich eigenem Bestand einen Einblick in die weitere Entwicklung der Brüsseler Tapisserie-Kunst.
Für den Tapisserie-Eentwurf tätige Künstler wie Barend van Orley (1488–1541), Pieter Coecke van Aelst (1502–1550) und Michiel Coxcie (um 1499–1592) zeigten sich von den Raffaelschen Kompositionen beeindruckt. Van Orleys Entwürfe der Geschichte von Romulus und Remus sowie Michiel Coxcies Sieben Tugenden sind ebenso vertreten wie die nach Vorlagen des Pieter Coecke van Aelst gestalteten Sieben Todsünden. Zum fulminanten Abschluss der Schau begegnen die Besucher*innen der eindrucksvollen Tapisserie Die Schule von Athen, der Raffaels populäres Fresko aus der Stanza della Segnatura (Vatikan) als Vorlage diente.
Achtzehn ausgewählte Stücke führen die große Faszination, die von diesen monumentalen Tapisserien ausgeht, eindrucksvoll vor Augen. Entwürfe aus der Hand der Künstler, Gemälde und Skulpturen, Fotografien und Kupferstiche werden den Tapisserien an die Seite gestellt. Ein Screen vermittelt den Besucher*innen einen Eindruck von der Hängung der originalen Wandteppiche nach Raffaels Vorlagen in der Sixtinischen Kapelle. Zwei Filme runden das Ausstellungserlebnis ab: der eine gewährt Einblicke in die aufwändige Tapisserie-Produktion, der andere dokumentiert den heutigen Umgang mit Tapisserien im Kunsthistorischen Museum.
Die hochkarätigen Leihgaben stammen aus der Albertina, Wien; dem Archivo di Stato, Rom; dem Archäologischen Institut und den Sammlungen der Gipsabgüsse der Universität Göttingen; der Biblioteca Apostolica Vaticana, Vatikanstadt; der Biblioteca Nacional de España, Madrid; der École National Supérieur des Beaux-Arts, Paris; dem Musée du Louvre, Paris; den Musei Vaticani, Vatikanstadt; der Staatlichen Graphischen Sammlung, München; dem Städel Museum, Frankfurt; und der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.