Die Hauptstadt hat als einziges Bundesland keine Tourismuszone, in der Geschäfte sonntags aufsperren dürfen. Auch in der EU gibt es kaum eine Großstadt, in der die Sonntagsöffnung so streng geregelt ist wie hier.
Wien. Alle Jahre wieder steigt während des Advents die ohnedies große Zahl an Menschen in der Wiener Innenstadt noch einmal an. Nicht nur, aber auch an Sonntagen ist im „Goldenen U“ besonders viel los. Und alle Jahre wieder taucht auch die Forderung nach einer Sonntagsöffnung auf, meist in Form von Tourismuszonen. Gestern, Donnerstag, hat erstmals Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) gemeinsam mit Kanzleramtsminister sowie ÖVP-Landesparteiobmann Gernot Blümel Tourismuszonen gefordert.
1 Was ist eine Tourismuszone, und wie ist die Situation in Wien?
Eine Tourismuszone ist eine vom Bundesland definierte Zone mit besonders hohem touristischen Aufkommen, in der auch sonntags die Geschäfte öffnen dürfen. In Österreich gibt es knapp 500 Tourismuszonen, Wien ist das einzige Bundesland, das keine Tourismuszone hat. Die beiden ÖVP-Minister Schramböck und Blümel appellierten an den zuständigen Wiener Bürgermeister, auch in Wien Tourismuszonen zu schaffen.
Schramböck könnte sich vor allem rund um Schönbrunn, auf der Mariahilfer Straße und auch in der Inneren Stadt eine Tourismuszone vorstellen. „Es geht nicht um die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten generell, das steht auch nicht im Regierungsprogramm und ist nicht im Interesse der breiten Mehrheit in der Wirtschaft“, sagt Schramböck. Aber in touristisch stark frequentierten Zonen solle man die Sonntagsöffnung ermöglichen. „Beim Onlinehandel fließt sehr viel Geld ins Ausland“, so Schramböck. Blümel spricht gar von einem „Amazon-Förderprogramm“. Auch Bratislava profitiere von der Situation.
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) setzt wie sein Vorgänger Michael Häupl eine Einigung zwischen Wirtschaftskammer und Gewerkschaft voraus. Letztere nannte die Forderung einen „Affront gegen Wiener Handelsangestellte“. Unterstützung bekommt sie von der Kirche.
2 Wie handhaben das die anderen Bundesländer?
Insgesamt gibt es in Österreich 478 Tourismuszonen, vorwiegend in Skigebieten, aber auch in der Salzburger Altstadt, in der bestimmte Geschäfte jeweils vier Stunden öffnen dürfen. Alle Bundesländer außer Wien haben Tourismuszonen, die in die Zuständigkeit des Landeshauptmanns fallen.
3 Wie steht Wien im internationalen Vergleich da?
Als große Ausnahme. Denn in den meisten europäischen Haupt- und Großstädten dürfen Geschäfte sonntags offen halten. Die Regelungen sind von Land zu Land verschieden und mitunter kompliziert, aber fast überall liberaler als in Österreich. Vergleichbar streng ist die Lage etwa in Bayern – auch in der Großstadt München gibt es keine Sonntagsöffnung. In Berlin wiederum dürfen an acht Sonntage im Jahr Läden offen halten.
In London dürfen alle Geschäfte an Sonntagen aufsperren, jene, die größer als 280 m? sind, allerdings nur sechs Stunden lang. Paris hat schon vor Jahren sieben Tourismuszonen definiert. Auch in den nördlichen Ländern von Dänemark bis Finnland gibt es deutlich weniger Einschränkungen bei den Ladenöffnungszeiten. Ebenso in Osteuropa, wo der Gesetzgeber kaum in die Öffnungszeiten eingreift. Eine Ausnahme stellt Polen dar: Hier wird die Sonntagsöffnung bis 2020 nach und nach wieder abgeschafft, der Handel hat aber auch nach 2020 noch mehr Spielraum als in Wien: Denn an einigen Sonntagen im Jahr wird das Offenhalten weiter möglich sein.
4 Welche Ausnahmeregelungen gibt es, um sonntags doch zu öffnen?
Bei der Sonntagsöffnung gibt es zahlreiche Schlupflöcher, die gern genutzt werden. Souvenirs dürfen in Wien sonntags verkauft werden, der Verkauf von Lebensmitteln ist, etwa an Bahnhöfen, teilweise möglich. Wer Gastronomie anbietet, kann sein Geschäft auch öffnen (sofern die Produkte im Restaurant verwendet werden). Wein & Co. praktiziert das seit Jahren. Meinl am Graben öffnet diesen Advent auch sonntags sein Geschäft, immerhin beherbergt er ein Restaurant. Ausnahmen gibt es auch für Süßwarengeschäfte und Bäckereien.
Dass eine Sonntagsöffnung erlaubt sei, sofern der Inhaber oder ein Familienmitglied im Geschäft stehen, ist übrigens ein Irrglaube. Diese Regelung gibt es in anderen Bundesländern, in Wien nicht.
5 Was bringt eine Tourismuszone überhaupt für Wien?
Laut einer Studie (KMU Austria, 2014) würden Tourismuszonen 800 Arbeitsplätze schaffen und 140 Millionen Euro mehr Umsatz im ersten Bezirk bringen. Die Forderung nach Tourismuszonen passt allerdings nicht ganz zum Engagement des Bezirksvorstehers der Inneren Stadt, ebendiese wieder mehr auf die Bewohner und weniger die Touristen zu fokussieren. Immerhin hat Markus Figl (ÖVP) erst im Oktober ein Aus für Fiaker gefordert. Auch bei der Öffnung der Anrainerplätze für Unternehmer stellt er sich quer.
Wobei in Wien nach einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger im Auftrag der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) ein gutes Verhältnis zwischen Angebot für Bewohner und Touristen besteht. Wien habe einen gesunden Tourismus und leide im Vergleich mit 52 europäischen Städten nicht unter sogenanntem Overtourism, einem Zuviel an Tourismus.
(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 14.12.2018)