S.E. Salah Abdel Shafi, Botschafter von Palästina: Palästina und der Oscar – Kolumne (D & ENG)

S.E. Salah Abdel Shafi, Botschafter von Palästina in der Republik Österreich / Foto: Diplomacy and Commerce Austria

Palästina und der Oscar – Die moderne Filmindustrie ist zu einem wichtigen Teil der palästinensischen Kultur geworden

Der Titel dieser Kolumne mag für die Leserin oder für den Leser verwirrend wirken, denn für gewöhnlich assoziiert man Palästina mit Begriffen wie Besatzung, Gewalt, Unterdrückung, Terrorismus und Menschenrechte. Diese Assoziationen sind verständlich, denn welche Verbindungen sollen angesichts der seit 1967 bestehenden israelischen Besatzung Palästinas sonst erfolgen? Der Kampf der Palästinenserinnen und Palästinenser zur Beendigung der Besatzung ist nicht nur ein Kampf um nationale Souveränität, sondern es ist auch ein Kampf zur Bewahrung der kulturellen Identität. Deswegen ist es so wichtig, dass nicht nur die klassischen Mittel des politischen Kampfes zum Einsatz kommen, sondern auch kulturelle Instrumente.

Palästina hat ein reiches kulturelles Erbe. Es sind die traditionsreichen Stätten und Altertümer wie in Jerusalem, Bethlehem, Jericho, Gaza und Hebron, es sind Dichter wie Mahmoud Darwish, Schriftsteller wie Emil Habibi, Sängerinnen wie Rim Banna oder der Maler Suleiman Mansour, die die palästinensische Kultur beeinflussen und international bekannt machten. Aber auch die moderne Filmindustrie ist zu einem wichtigen Teil der palästinensischen Kultur geworden und palästinensische Regisseurinnen und Regisseure haben sich international einen Namen gemacht. Bei den renommiertesten Filmfestivals, wie in Cannes, Venedig oder Berlin, ist die palästinensische Filmszene vertreten, so beispielsweise Hany Abu Assad. Sein Film „Paradise Now“ hat es im Jahr 2006 auf die Oscar-Nominierungsliste für die besten fremdsprachigen Filme geschafft. Gewonnen hat er den Oscar zwar nicht, aber dafür den Golden Globe im selben Jahr sowie viele weitere internationale Auszeichnungen. Auch sein Film „Omar“ wurde im Jahr 2014 in der gleichen Kategorie nominiert.

Sieben Jahre später, im April 2021, wird erneut ein palästinensischer Film – „The Present“ von Farah Nabulsi – in der Kategorie „Kurzfilm“ für einen Oscar nominiert. Der 25minütige Film erzählt die Geschichte von Yusuf, der mit seiner kleinen Tochter Yasmin anlässlich seines Hochzeitages einen Kühlschrank kaufen möchte. Doch dieser Kauf gestaltet sich aufgrund der israelischen Besatzung der Westbank, den zahlreichen Checkpoints und den israelischen Soldaten nicht nur als ein schwieriger, sondern für Yusuf und Yasmin auch als ein demütigender Kauf.

 

Auch wenn dieser Film wiederum keinen Oscar erhält, so zeigt sich allein eine Nominierung, dass palästinensische Filme nicht nur ein hohes Niveau, sondern auch einen Plot haben, der fesselnd und interessant gleichermaßen ist. Palästina ist nun auch zu einem Begriff in der internationalen Filmbranche geworden.

Palästinensische Filme spiegeln – wie ein Großteil nationaler Filme – die Identität der Gesellschaft wider. Ein wichtiges identitätsstiftendes Moment für die palästinensische Gesellschaft ist die israelische Besatzung, die in alle Lebensbereiche greift. Dabei handelt es sich nicht um eine militärische Präsenz einer fremden Macht, sondern vielmehr um eine koloniale Besatzung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, palästinensische Identitäten, Merkmale und Eigenschaften auf allen Ebenen zu löschen.

Folglich prägt die Besatzung den Alltag der Menschen und nimmt im Umkehrschluss immensen Einfluss auf die palästinensische Filmindustrie. Palästinensische Filme über Liebe und Sehnsucht, über Umwelt- und Klimaschutz werden natürlich gedreht, aber die Thematiken können nicht ohne den Hauptdarsteller – die Besatzung – gezeigt werden.

Der Film „The Present“ kann über Netflix sowie über diverse europäische Mediatheken gesehen werden.

Weitere prämierte palästinensische Filme sind: „Wajib“ von Annemarie Jacir, „Ghost Hunting“ von Raed Andoni und „Between Heaven and Earth“ von Najwa Najjar.

Wien, 26 April 2021

Salah Abdel Shafi

ENGLISH:

H.E. Salah Abdel Shafi, Ambassador of Palestine to Austria – Column

Palestine and the Oscar: The modern film industry has become an important part of Palestinian culture

The title of this column may be confusing for the reader because Palestine is commonly associated with terms such as occupation, violence, oppression, terrorism and human rights. These associations are understandable, because what other connections should be made in view of the Israeli occupation of Palestine, which has existed since 1967? The struggle of the Palestinians to end the occupation is not only a struggle for national sovereignty, it is also a struggle to preserve cultural identity. That is why it is so important that not only the classic means of political struggle are used, but also cultural instruments.

Palestine has a rich cultural heritage. It is the traditional sites and antiquities such as Jerusalem, Bethlehem, Jericho, Gaza and Hebron, poets like Mahmoud Darwish, writers like Emil Habibi, singers like Rim Banna and the painter Suleiman Mansour who influence Palestinian culture and make it internationally known .

But the modern film industry has also become an important part of Palestinian culture and Palestinian directors have made a name for themselves internationally. The Palestinian film scene is represented at the most famous film festivals such as Cannes, Venice and Berlin, for example Hany Abu Assad. His film “Paradise Now” made it onto the Oscar nomination list for the best foreign language films in 2006. Although he did not win the Oscar, he did win the Golden Globe in the same year and many other international awards. His film “Omar” was also nominated in 2014 in the same category.

Seven years later, in April 2021, another Palestinian film – “The Present” by Farah Nabulsi was nominated for an Oscar in the “Short Film” category. The 25-minute film tells the story of Yusuf, who wants to buy a refrigerator with his little daughter Yasmin on the occasion of his wedding anniversary. But due to the Israeli occupation of the West Bank, the numerous checkpoints and the Israeli soldiers, this purchase turns out to be not only a difficult one, but also a humiliating one for Yusuf and Yasmin.

Even if this film again does not receive an Oscar, a nomination alone shows that Palestinian films are not only of a high standard, but also have a plot that is both captivating and interesting. Palestine has now also become a household name in the international film industry.

Palestinian films, like most national films, reflect the identity of society. An important element of identity for Palestinian society is the Israeli occupation, which affects all areas of life. This is not a military presence of a foreign power, but rather a colonial occupation that aims to erase Palestinian identities, features and characteristics on all levels.

As a result, the occupation shapes people’s everyday lives and, conversely, has an immense influence on the Palestinian film industry. Palestinian films about love and longing, about environmental and climate protection are of course made, but the themes cannot be shown without the main actor – the occupation.

The film “The Present” can be seen on Netflix as well as in various European media libraries. Other award-winning Palestinian films are: “Wajib” by Annemarie Jacir, “Ghost Hunting” by Raed Andoni and “Between Heaven and Earth” by Najwa Najjar.

Vienna, April 26, 2021

Salah Abdel Shafi