S.E. Francois Saint-Paul, Botschafter der Republik Frankreich in Österreich – Interview

Der Botschafter der Republik Frankreich in Wien, S.E. Francois Marcel Michel Saint-Paul, ist seit vielen Jahren in der Diplomatie. Nach einem Mandat in Mexiko, der Arbeit im Außenministerium, dem Posten des Abgeordneten beim Staatsminister und dem Minister für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt, der Vertretung Frankreichs bei der Europäischen Union in Brüssel, der Ständigen Vertretung Frankreichs bei der UNO in Genf, als Kabinettsdirektor bei der beigeordneten Ministerin zuständig für EU-Angelegenheiten, Botschafter Frankreichs in Kroatien, Direktor im Außenministerium – zuständig für Auslandsfranzosen und Konsulats-Angelegenheiten und seinem Mandat als Botschafter Frankreichs in Rumänien, ist S.E. Saint-Paul seit 2017 Botschafter in Österreich.

S.E. Francois Marcel Michel Saint-Paul, Botschafter der Republik Frankreich in Österreich

Für das Magazin „Diplomacy & Commerce Austria“ sprachen wir mit dem Botschafter, S.E. Saint-Paul, über das Leben in Wien, die aktuellen Ereignisse in Frankreich, über den Brexit und was das für Frankreich bedeutet, über seine Auszeichnungen “Ritter des französischen Verdienstordens” und “Ritter der Ehrenlegion”, über Fremdsprachen und seine Leidenschaft – die Musik.

Sie sind seit vielen Jahren Botschafter und gewohnt, Ihren Wohnort zu wechseln. Seit zwei Jahren sind Sie in Wien wohnhaft – wie erscheint Ihnen das Leben in der österreichischen Hauptstadt?

Das Leben in Wien ist sehr angenehm, die Stadt ist sicher, überschaubar, und doch befinden wir uns im Herzen Mitteleuropas; Wien ist eine internationale Plattform mit Präsenz von internationalen Institutionen und vielen bilateralen Botschaften. Auch als Hauptstadt der Musik ist Wien für mich ein sehr bereicherndes Pflaster.

Sie sind mit den ehrenvollen Titeln „Ritter des französischen nationalen Verdienstordens“ und „Ritter der Ehrenlegion“ ausgezeichnet worden, was bedeuten diese Ehrungen für Sie?

Die Ehrenlegion wurde von Napoleon Bonaparte 1802 eingerichtet und bezweckt die Ehrung für militärische oder zivile Dienste. Es ist also eine sehr lange Tradition in Frankreich und ich bin dementsprechend stolz darauf, Ritter der Ehrenlegion zu sein. Ich trage auch den Verdienstorden mit Stolz und halte ihn in Ehren.

Viele, die Gelegenheit gehabt haben, Sie spielend am Klavier zu erleben, sagen, dass Sie ein Virtuose sind. Woher kommt die Liebe und die Faszination zur Musik?

Ich bin kein Virtuose, aber ich denke, man ist Musiker oder nicht. Die Frage ist, ob das Talent, das feine Gehör und das Interesse für die Musik gefördert werden, solange man Kind ist. Nun, bei mir war das der Fall, und ich bin sehr dankbar dafür, denn die Musik bereichert das Leben ungemein. Man taucht in eine andere Welt ab und bleibt doch dabei ganz bei sich. Ich gehe auch gerne in Konzerte. Dort kann ich sehr gut abschalten, aber auch den Gedanken freien Lauf lassen. Was täten wir ohne Musik!

Welchen Komponisten schätzen Sie am meisten, und welche Stücke spielen Sie am liebsten?

Ich spiele sehr gerne Filmmusik, und wenn ich selbst komponiere, dann lasse ich mich am meisten von diesem Genre inspirieren. Sonst begeistert mich natürlich vor allem der Jazz, aber ich spiele auch Klassik. Zu meinen Lieblingskomponisten zählen J.S. Bach und Miles Davies.

In Ihren Interviews betonen Sie oft, dass Sprachen heutzutage sehr wichtig sind, Sie selbst sprechen mehrere Fremdsprachen – Deutsch, Englisch, Spanisch und Kroatisch. Auf globaler Ebene war die französische Sprache seit der Mitte des 18. Jahrhunderts offizielle Sprache der Diplomatie. Wie viel von dieser Praxis ist bis heute erhalten geblieben?

Ich spreche auch Rumänisch, denn das Sprachenlernen ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit eines Diplomaten im jeweiligen Land, und zudem eine Tradition in meiner Familie. Vor allem Deutsch war immer präsent. Meine Mutter stammt aus der Schweiz und mein Vater kann die Werke von Goethe auf Deutsch lesen. Das hat mich immer beeindruckt. Um Zusammenhänge erklären und das jeweilige Land, in dem man arbeitet, besser verstehen zu können, ist das Beherrschen der jeweiligen Sprache für uns Diplomaten essentiell. Französisch bleibt eine Sprache der Diplomatie und der Kultur, auch wenn das Englische als Arbeitssprache – vor allem im Geschäftsbereich – öfter zur Anwendung kommt. Aber Französisch bleibt vor allem die Sprache der Menschenrechte, die Sprache, die die europäischen Werte transportiert und unsere reichhaltige europäische Kultur reflektiert.

Louvre @Atout France – Franck Charel

Frankreich und Österreich haben eine jahrelange gute Zusammenarbeit. Was sind die Hauptpotenziale für die Zusammenarbeit im Jahr 2020?

Ich denke, wir können die gute Zusammenarbeit noch vertiefen, insbesondere in den europäischen Belangen. Wir brauchen eine europäische Industriepolitik. Wir befinden uns in einem Wirtschaftskrieg. Die USA verteidigen ihre Interessen mit Protektionismus und Extraterritorialität. Die politischen Potenziale liegen in den Fragen der europäischen Asylpolitik, die wir gemeinsam neu aufsetzten möchten. Ein weiterer Punkt sind die Fragen der Klimapolitik, die ebenfalls nicht jeder für sich alleine lösen kann, weil sie ein Gesamtkonzept brauchen. Wirtschaftlich gesehen habe ich mir zur Aufgabe gemacht, Frankreich mehr in das Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung zu bringen, und umgekehrt. Denn Österreichs Wirtschaft ist gut aufgestellt, was die exportwilligen französischen Firmen interessiert; ebenso ist der Standort Frankreich für österreichische Investoren mehr denn je von Interesse. Bei der letzten Konferenz „France Digitale Day“ hat Präsident Emmanuel Macron darauf verwiesen, dass Investitionen bis zu 5 Milliarden in den nächsten drei Jahren zum weiteren Ausbau der bereits sehr aktiven und innovativen Start-up Szene in Frankreich erwartet werden. Hier sehe ich Potential. Die französischen Exporte nach Österreich übersteigen die 4 Milliarden Euro Marke. Die wichtigsten Export- und Importgüter zwischen Frankreich und Österreich sind Produkte der Chemie- und Metallindustrie, der Kosmetik, der Lebensmittelindustrie, Elektro- und Elektronikerzeugungen, sowie pharmazeutische Produkte. Die Kooperationen von Betrieben werden mit dem Programm Horizon 2020 gefördert. Frankreich und Österreich arbeiten bei zahlreichen Projekten im Bereich F&E zusammen. Valeo, AVL, Infineon, Renault sind ein gutes Beispiel dafür.

Napoleon Bonaparte

Im November 2018 begannen Proteste in Frankreich, ausgelöst durch die Ankündigung der Regierung eine Ökosteuer einzuführen. Später forderten die Protestierenden verschiedene Änderungen, die der Reformpolitik grundsätzlich widersprachen. Können Sie nach einem Jahr zusammenfassen, was mit den Protesten erreicht wurde? Ist ein Ende bald in Sicht?

Präsident Macron hat sehr rasch eine Antwort auf die Gelbwesten Proteste gefunden, indem er die gesamte Nation einlud, an der groß angelegten Nationalen Debatte teilzunehmen. Diese Gelegenheit wurde von sehr vielen Franzosen genutzt. Der Präsident hat große Steuererleichterungen beschlossen, unter anderm eine umfangreiche Senkung der Einkommenssteuer auf geringe Einkommen, um den Franzosen entgegen zu kommen und eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Die Verbesserung des wirtschaftlichen Umfeldes ist ein wesentlicher Zug des neuen Stils. Seit zwei Jahren werden tiefgehende Reformen durchgeführt: Arbeitsrecht, Senkung der Arbeitskosten, Steuerreformen, das duale Ausbildungssystem. Bei den Verhandlungen um die anstehenden Pensionsreformen werden die Gewerkschaften miteinbezogen. Die CO2 Steuer wurde für eingefroren, aber das französische Parlament hat im Juli das Gesetz zur Mobilitätsorientierung verabschiedet. Dieses Gesetz legt die Klimaneutralität für Verkehr bis 2050 fest. Die innerpolitischen Anstrengungen tragen bereits Früchte: im Vorjahr ist die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie gestiegen, Frankreich war bei ausländischen Investitionen in der Industrie Nummer eins in Europa.Auch sein internationaler Erfolg im Rahmen des letzten G7 Treffens hat die Franzosen überzeugt.

@Atout France – Jean Isenmann

Bilder von den Protesten und der sogenannten Gelbwesten-Bewegung haben die Welt umkreist, haben sich die Proteste negativ auf die Wirtschaft Frankreichs ausgewirkt?

Die neuesten Zahlen attestieren der französischen Wirtschaft ein sehr gutes Zeugnis. Die neuesten Zahlen attestieren der französischen Wirtschaft ein sehr gutes Zeugnis. Die Arbeitslosenquote ist die niedrigste seit der Finanzkrise, die Wachstumsaussichten für 2019 betragen 1,4%, das öffentliche Defizit bleibt mit 2,5% der BIP unter Kontrolle, und das trotz eines von Unsicherheit geprägten internationalen Kontextes. Die guten Zahlen sind das Ergebnis einer seit Sommer 2017 umgesetzten Reformagenda. Zusätzlich haben die Steuererleichterungen die Kaufkraft erhöht. Die Regierung verfolgt ihre ehrgeizigen Reformpläne, die den Markt fit für einen wirtschaftlichen Aufschwung machen sollen: bis 2025 soll es in Frankreich 25 Unicorns – also junge Tech-Firmen, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden – geben (zurzeit sind wir bei 7). Die 2017 bei Paris eröffnete „Station F“ ist der größte Start-up Campus der Welt. 2018 hat Frankreich einen Zuwachs von 17% bei den Firmengründungen verzeichnet.

Provence: Abtei von Sénanque – Foto: ©P.Giraud – OTLMV

Die Wirtschaft Frankreichs ist die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt, welche Wirtschaftszweige sind am wichtigsten für Ihr Land?

Die Automobilindustrie ist für Frankreich in Hinblick auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen. Sie umfasst 150 000 Unternehmen und beschäftigt 900 000 Arbeitnehmer, auch wenn keine andere Industriebranche mit derart raschen Änderungen in so vielen Bereichen konfrontiert ist. Der wichtigste französische Wirtschaftszweig ist die Nahrungsmittelindustrie. Frankreich ist weltweit der viertgrößte Exporteur von Nahrungsmitteln und weltweit führender Weinexporteur. Weitere folgende Branchen sind wesentlich und hoch entwickelt: die Luftfahrtindustrie, das Transportwesen, das Gesundheits- und Energiewesen, die Luxusindustrie, der Tourismus, die chemische, die Elektro- und elektronische Industrie. Auch in den neuen Bereichen wie z.B. Smart-Grids, künstliche Intelligenz, Digitales und Entwicklung von umweltfreundlichen Lösungen zählt Frankreich zu den führenden Ländern. Alle Branchen, ob „traditionelle“ oder „neue“, investieren viel in F&E um innovative Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt zu bringen.

Die Wirtschafts- und Steuerreformen von Präsident Emmanuel Macron haben die Modernisierung der französischen Wirtschaft beschleunigt und die französischen Unternehmen gestärkt. Noch nie gab es zum Beispiel so viele Firmengründungen wie im Jahr 2018. Auch die Kapitalbeschaffung der französischen Start-ups hat letztes Jahr einen neuen Rekord verzeichnet.

Eiffelturm © Paris Tourist Office – Foto: © Sarah Sergent

Paris, die Côte d’Azur, die Provence und viele andere Städte und Regionen machen Frankreich zu einem der begehrtesten Reiseziele der Welt. Wie wichtig ist der Tourismus als Wirtschaftszweig für die französische Wirtschaft?

Der Tourismus ist ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig: Er stellt 7,2% des BIP und schafft 1,2 Millionen direkte Arbeitsplätze. Frankreich ist mit fast 90 Millionen Besuchern weltweit die erste Destination! Von Österreich aus gibt es übrigens neue Direktflüge nach Bordeaux, sowie nach Marseille (zusätzlich zu den Flugverbindungen nach Paris, Nantes, Nizza, Mulhouse über Basel und Lyon). Das macht das Reiseziel Frankreich für die Region Mitteleuropa natürlich noch attraktiver.

Blick über Nizza © Issock_OTCN

Paris hat von London den Platz des EU-Finanzzentrums bereits übernommen. Ist Frankreich dazu bereit?

Zuallererst, man kann bezüglich des Austretens von Großbritannien nicht von einem Glücksfall sprechen, doch wir respektieren die Entscheidung des britischen Volkes. Europa darf sich nicht aufhalten lassen und ein europäischer Finanzplatz kann sich unmöglich außerhalb der EU befinden. So hat Paris, wie auch andere europäische Finanzplätze, seine Vorzüge geltend gemacht, um die in London eingerichteten Finanzinstitutionen, die ihren Zugang zum europäischen Markt bewahren wollen, anzuziehen. Das ist ein gesunder Wettbewerb. Paris Europlace und die französischen Behörden haben gemeinsam mobil gemacht, um Paris für die interessierten Institutionen vorzubereiten. Die Umsiedelung der EBA nach Paris hat hier natürlich zum Vorteil gereicht. Die französische Metropole  überzeugt mit Lebensqualität, dem Angebot an qualifiziertem Fachpersonal, mit Bürokapazitäten und mit der ausgebauten Infrastruktur (Paris Express).

Präsident Emmanuel Macron / Foto: Arno Mikkor

Vor kurzem hat Google nach Steuerverfahren Frankreich die höchste Summe aller Zeiten gezahlt und sie beträgt eine Milliarde Dollar. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sprach sich auf dem Europäischen Finanzforum im September in Helsinki gegen die Absicht von Facebook aus, die globale Kryptowährung Libra einzuführen, und schlug vor, dass Facebook die Einführung von Libra in der Europäischen Union nicht gestattet wird. Einige glauben, Frankreich sei gegen amerikanische Mega-Konzerne, andere sind der Meinung, dass der Minister Recht hat, wenn er sagt, dass dieser Schritt die Währungssouveränität der EU-Mitgliedstaaten untergraben und erhebliche finanzielle Risiken mit sich bringen könnte. Wie ist die Haltung des offiziellen Frankreich zu diesem Thema?

Die Macht der Internetriesen, die heute hauptsächlich amerikanisch sind, stellt uns tatsächlich vor die Frage. Es stimmt nicht, dass Frankreich gegen sie ist. Frankreich wünscht aber, so wie die Europäische Kommission, dass die Steuer-Regeln, die für europäische Unternehmen gelten, auch für sie gelten. Google hat das Gesetz umgangen. Frankreich plädiert dafür, dass die Frage der Besteuerung von Internetbetrieben neu aufgerollt wird, denn die aktuellen Regelungen entsprechen nicht mehr den jetzigen Gegebenheiten. Wir haben zwar seit 2019, so wie Österreich, eine Digitalsteuer, es wäre aber wünschenswert, wenn wir eine internationale und europäische Lösung finden würden. Nach dem G7 Treffen in Biarritz sind wir diesbezüglich zuversichtlich. Die Libra-Frage haben Sie gut zusammengefasst. Wenn die Entwicklung dieser Art von Zahlungsmittel außer Kontrolle gerät, könnte sie tatsächlich die Finanz- und Währungsstabilität ins Schwanken bringen. Es ist gut, dass die internationale Gemeinschaft, die G7, aber auch das Financial stability Board FSB sich dieser Sache angenommen hat und eine genaue Untersuchung des Phänomens und der eventuellen Auswirkungen vornimmt.

 

Die Sacré Coeur und die Kirche Sainte-Trinité © Paris Tourist Office – Foto: © Sarah Sergent
S.E. Francois Marcel Michel Saint-Paul, Botschafter der Republik Frankreich in Österreich

Sind die IT-Industrie und selbst das Internet, Ihrer Meinung nach, zu einer Supermacht geworden, die kontrolliert werden sollte, weil sie sowohl gute Dinge als auch solche initiieren können, die sich negativ auf die Entwicklung auswirken und sogar die Zukunft beeinflussen können?

Es steht hier für Europa viel auf dem Spiel und die Europäische Union muss der Frage der Regulierung des Internet eine hohe Priorität einräumen. Der digitale Raum generiert Wachstum und ermöglicht Fortschritt. Er kann unseren demokratischen Werten neuen Atem einhauchen, aber gleichzeitig stellt er uns vor das Risiko einer manipulierten digitalen Welt, die sich den Prinzipien einer offenen Gesellschaft entgegenstellt, für die diese doch eigentlich ein Garant sein sollte. Ob im ökonomischen Bereich oder in Fragen der Sicherheit, ein Regulierungsmechanismus ist wichtig für die Fairness im digitalen Raum, in dem sich jeder sicher bewegen und entwickeln kann.

Svetlana Nenadovic-Glusac