Neue Seidenstraße ist das heutzutage das Größte Projekt der sich auf vier Kontinenten ausbreitet, eine Mega Investition darstellt der von China finanziert ist und der zu Ziel hat den Handel anzukurbeln, Wohlstand zu schaffen und zwischen den involvierten Ländern auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene zu kooperieren.
Im Rahmen der Initiative Neue Seidenstraße (Belt and Road) befinden sich Großprojekte im Transportbereich in Asien, Europa, Afrika und Lateinamerika.
Das Projekt ist so groß dass der Entwicklung auf globale ebene für viele unübersichtlich ist.
Über den aktuellen Stand des Projektes Neue Seidenstraße sprachen wir für das Magazin Diplomacy and Commerce Austria mit Herrn Priv.-Doz. Mag. Dr. Stephan Barisitz, Senior Economist, aus der Auslandsanalyseabteilung der Oesterreichischen Nationalbank und Experten für die One Belt One Road-Initiative.
Genau vor einem Jahr haben wir mit Ihnen ein Interview über die Neue Seidenstraße geführt, was hat sich seit damals verändert?
Im vergangenen Jahr sind die Aktivitäten der Belt and Road-Initiative (BRI) weiter vorangeschritten und weitere Institutionen wurden ins Leben gerufen, gleichzeitig hat sich die zusätzliche Kreditvergabe etwas eingebremst, da und dort ist es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen, einige Projekte wurden von Partnerregierungen suspendiert oder verkleinert, und China hat i.d.R. pragmatisch reagiert. Zuallerletzt (seit Jänner/Februar 2020) wurde die Initiative durch die Coronavirus-Krise massiv eingedämmt oder zum Stehen gebracht. Um zu rekapitulieren: die BRI ist ein überwiegend von China kreditfinanziertes quasi-globales Entwicklungsprogramm, das in erster Linie Investitionen in den Bau oder die Modernisierung von Verkehrs-, Energie-, sowie digitalen Infrastrukturen beinhaltet.
Hat sich das Volumen der Initiative „Neue Seidenstraße“ geändert?
Insgesamt hatten bis Ende Juli 2019 138 Länder Kooperationsverträge mit Bezug zur BRI (z.B. Memoranda of Understanding/MoUs oder Absichtserklärungen) mit China unterzeichnet. Dies schließt Italien ein (das einzige G7-Land bisher), welches eine MoU im März 2019 mit China unterzeichnete; und Griechenland zählt dazu, das im April 2019 dem sog. „16+1 Forum“, einem regionalen Kooperationsnetzwerk mittel- und osteuropäischer Länder mit China, beitrat – und damit dieses Gebilde in das „17+1 Forum“ umwandelte.
Bis Mitte 2019 hatte China etwa USD 450 Mrd, einschließlich Kreditlinien und Direktinvestitionen, für BRI-Projekte ausgegeben oder veranschlagt, deren größte Zahl sich in Asien (besonders in Südostasien, Pakistan und Russland), Europa (besonders in Südosteuropa), und Afrika (hauptsächlich in Ostafrika und Nigerien) befinden. Die Unternehmungen sind überwiegend von chinesischen Staatsbanken (u.a. der Chinesischen Entwicklungsbank, der Export-Import-Bank Chinas) sowie dem Silk Road Fund (chinesischer Seidenstraßenfonds) finanziert. Die beiden erwähnten Staatsbanken stellen auch im Hinblick auf Kredit- und Förderungssummen die größten entwicklungspolitischen Institutionen weltweit dar. Ferner spielt für die BRI die multilaterale Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), in der China den relativ größten Kapitalanteil hält und in der aufstrebende Märkte eine Mehrheit der Stimmrechte haben, eine wichtige Rolle. Langfristig (bis 2030) plant China, über USD 1000 Mrd in BRI-Infrastrukturprojekte zu investieren.
Können Sie unsere Leserschaft über Updates bezüglich Motivationen und treibende Faktoren informieren?
Das Hauptziel der BRI bleibt die Förderung der internationalen Wirtschaftsverflechtung und Zusammenarbeit durch Verbesserung der Konnekivität, mit dem operativen Ziel, Transportkosten und (digitale) Kommunikationskosten zu senken. Andere Ziele sind es, regionale (eurasische) Wertschöpfungsketten von China aus entlang ökonomischer Korridore in Nachbarländer aufzubauen und vielfach vorhandene starke Abhängigkeiten vom US Dollar in Handel und Finanzierung zu verringern. Dieses letztere Ziel hat im Zusammenhang mit der Eskalation des Wirtschaftskonfliktes USA-China im vergangenen Jahr an Bedeutung gewonnen. Offenbar erhofft sich die Führung in Beijing auch durch die Schaffung des Belt and Road-Netzwerkes eine alternative wirtschaftsgeografische Perspektive oder ein Gegengewicht zur traditionell dominanten Ausrichtung der Wirtschaftsbeziehungen auf die USA. Ganz allgemein geht es natürlich auch darum, chinesische „soft power“ in verschiedenen Teilen Eurasiens und der Welt zu stärken und einen Kreis befreundeter Staaten zu schaffen.
U.a. als Antwort auf die chinesische Initiative wurden einige teilweise rivalisierende internationale Infrastruktur-Entwicklungsprogramme ins Leben gerufen, so vor allem von Japan (ca. USD 200 Mrd, 2015), den USA (USD 60 Mrd, 2019), und der Europäischen Union (EUR 13 Mrd, 2019); die zur Verfügung gestellten Gelder für die jeweiligen Programme sind jedoch zu bescheiden, um ernsthaft mit den BRI-Finanzen konkurrieren zu können.
Neuerdings wurde – im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus und (vorerst) erfolgreichen chinesischen Maßnahmen zu seiner Bekämpfung in Lande selbst – von der Führung in Beijing eine weitere Dimension der BRI ausgerufen: die Schaffung einer „Health Silk Road“ (Gesundheits-Seidenstraße), wobei China seinen BRI-Partnern in der Seuchenbekämpfung (publizitätsträchtig) unter die Arme greift und seine bereits gewonnenen Einsichten im Umgang mit dem Virus seinen Partnern angedeihen lässt. Das alles im Sinne einer „menschlichen Gemeinschaft, die gemeinsam leidet und Erfolge erzielt“ (aus einem Gespräch Staatspräsident Xi Jinpings mit UN-Generalsekretär António Guterres Mitte März), und sicher mit gewissen Erwartungen für die Attraktivität chinesischer soft power.
Ist das Megaprojekt auf Herausforderungen und Risiken gestoßen?
Wenn keine internationalen Abstimmungen erfolgen, können unterschiedliche regulatorische Regime die Wirksamkeit grenzüberschreitender Infrastrukturprojekte, etwa im Verkehrssektor, hemmen (Beispiel: das Umladezentrum Brest/Malaszewicze an der polnisch-weißrussischen Grenze, obwohl nicht unmittelbar ein BRI-Projekt, liegt an einer Hauptschlagader der Neuen Seidenstraße und leidet an fehlenden regulatorischen Abstimmungen zwischen der EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion/EAWU).
Ein anderer umstrittener Punkt ist, dass BRI-Projekte i.d.R. von chinesischen Partnern nicht nur in finanzieller, sondern auch in logistischer Hinsicht dominiert (Zurverfügungstellung von Arbeitskräften, Ausrüstungen, Materialien) werden. In einigen Fällen ist es auch bei lokalen Bevölkerungen zu Widerstand gegen BRI-Projekte, insbesondere außerhalb Europas (z.B. in Zentralasien), gekommen. EU-Regelungen (falls anwendbar) und teilweise sogar nationale Standards (etwa arbeitsrechtlicher, sozialrechtlicher oder umweltrechtlicher Natur) werden in Belt and Road-Projekten nicht immer respektiert. Ein „Parade-Projekt“, die Belgrad-Budapest-Hochgeschwindigkeitszug-Verbindung, wurde Ende 2017 teilweise suspendiert wegen Nichteinhaltung von EU-Wettbewerbsregeln.
Es besteht auch die Gefahr, dass lokale Korruption durch ungenügend kontrollierte Finanzflüsse befeuert werden könnte, und überschuldete Länder könnten in eine „Schuldenfalle“ („debt trap“) rutschen. Im vergangenen Jahr haben drei relativ große Staaten einige umfangreiche und teure BRI-Projekte verkleinert (s. auch Antwort auf Frage 5). Andererseits ist auch einzuräumen, dass China in aller Regel pragmatisch auf auftretende Schuldenprobleme seiner BRI-Partner reagiert (Umschuldungsverhandlungen, Schuldenstreckungen, Schuldenzinssenkungen etc). Chinesische Pfändungen von Aktiva säumiger Schuldner, wie es im Falle des „debt-lease swap“ (Tausch: Schulden gegen langfristige Verpachtung) des strategischen Hafens Hambantota Port (Sri Lanka) im Dezember 2017 geschah, sind bisher sehr seltene Vorkommnisse.
Zuletzt ist die BRI auf die große Herausforderung der Coronavirus-Pandemie gestoßen, mehr dazu unten.
Haben sich die BRI-Projekte in den Regionen im geplanten Tempo entwickelt?
Viele Projekte haben Fortschritte gemacht, einige wenige wurden abgeschlossen, andere haben sich verlangsamt, und wieder andere wurden auf Betreiben von Chinas Partnerstaaten 2019 einem „rightsizing“ (genauer: „downsizing“) unterzogen, weil sie offenbar zu gross geraten waren bzw die Partnerstaaten Bedenken wegen übermäßiger zusätzlicher Schuldaufnahme bekamen. In den letzten drei Fällen handelte es sich um Hochgeschwindigkeitszug- oder Tiefseehafen-Projekte in Malaysien, Myanmar, und Pakistan.
Konkreter zur Projektentwicklung (selektiv): Im Überlandverkehr hat die Ost-West-Schienenkonnektivität in Eurasien, auch dank chinesischer finanzieller Unterstützung, im Wettbewerb mit maritimen Verbindungen in den letzten Jahren an Boden gewonnen: In den vergangenen Jahrzehnten stabilisierte sich in den meisten Ländern, die China und Europa verbinden, die politische Situation und Wirtschaftsreformen wurden durchgeführt; es erfolgten einige Schritte zur Modernisierung der Eisenbahnnetzwerke; Grenz- und Zollformalitäten im Rahmen der EAWU (der u.a. Schlüsselstaaten für den Ost-West-Warentransit angehören: Kasachstan, Russland, Weißrussland) wurden harmonisiert; der elektrifizierte Eisenbahnverkehr hat ökologische Vorteile gegenüber Schiffs- und Luftverkehr; und chinesische Lokalregierungen gewähren BRI-Eisenbahntransportsubventionen, die in manchen Fällen bis 50% der gesamten Transportkosten erreichen können.
Das transeurasische Schienenverkehrsaufkommen hat sich in den letzten Jahren vervielfacht (auf 2-5% des Ost-West-Gesamtverkehrs), allerdings dominiert der Seeverkehr weiterhin unangefochten (ca. 90%), gefolgt vom Luftverkehr. Eine der Haupteisenbahnverbindungen ist der „Trans-Eurasia-Express“ (Shanghai – Urumqi – Astana – Yekaterinburg – Moskau – Brest – Duisburg). Aus aktuellem Anlass muss aber erwähnt werden, dass Kasachstan und Russland Anfang Februar 2020 auf Grund der Ausbreitung des Coronavirus den Eisenbahnverkehr mit China teilweise suspendierten. Kasachstan suspendierte auch die Aktivität der Sonderwirtschaftszone Khorgos (an der Grenze China-Kasachstan).
Mit dem Voranschreiten einiger Energie-Megaprojekte in Sibirien, von denen zwei bereits den Förder- und Exportbetrieb aufgenommen haben, ist Russland einer der prominentesten BRI-Partner Chinas. Diese beiden bereits fertigen Projekte sind das Yamal-Flüssiggasprojekt an der Eismeer- Seidenstraße und die Sila Sibiri- (Kraft Sibiriens-)Gaspipeline nach China – das wahrscheinlich größte Gasprojekt der Geschichte. Mit Huawei 5G-Netzwerken könnte die Digitale Seidenstraße auch Russland einschließen. Ungeachtet von Bedenken im Zusammenhang mit der Schuldentragfähigkeit bleibt Pakistan, das China den Zugang zum Indischen Ozean sichert (China-Pakistan Economic Corridor/CPEC, geplantes Gesamtprojektvolumen: USD 60 Mrd), ein wirtschaftsgeografischer Anker der Initiative. Vielleicht auch deshalb waren die Konsequenzen des Ausbruches des Coronavirus in Pakistan Ende Jänner 2020 rasch spürbar. U.a. wurden Projekte in der Punjab-Region (Fünfstromland) verzögert oder angehalten durch Quarantänen bzw. Einreisebeschränkungen für chinesische Projektarbeiter, -manager und -sicherheitskräfte.
Die wichtigsten europäischen BRI-Partnerländer (gemessen an der Verhältniszahl der chinesischen BRI-Investitionen zum Bruttoinlandsprodukt) liegen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (vor allem Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Ungarn). Von Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf BRI-Projekte in dieser Region ist noch kaum etwas bekannt. Nach Angaben der Hafenbehörde von Piräus (Griechenland) waren Mitte März 2020 für den Güterumschlag des Tiefseehafens (im Unterschied etwa zu Kreuzfahrtschiffen, deren Anlegen verboten wurde) noch keine negativen Effekte feststellbar. Im Gegenteil: in den ersten zwei Monaten d.J. sei das Cargo noch einmal um etwa ein Zehntel gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahres gestiegen; eine Fortsetzung des Höhenfluges ist aber angesichts der Umstände unvorstellbar.
China errichtet nicht nur Tiefseehäfen, wie Gwadar (Pakistan), Piräus (Griechenland) – beide weitgehend fertiggestellt -, Kyaukpyu (Myanmar), Colombo Port City (Sri Lanka) und Djibouti; China hat sich 2019 auch verstärkt engagiert im Bau von etwa 100 Unterwasser-Kommunikations-Kabeln (von insgesamt etwa 300 solcher Kabel weltweit). Unterwasserkabel befördern etwa 90% aller internationalen Daten. Ein herausragendes Projekt ist der Pakistan-East Africa Cable Express (PEACE), der die kürzeste faseroptische high-tech Internetverbindung zwischen Asien und Afrika darstellt, welche überdies auch einen Arm nach Frankreich hat. Zuletzt (2019) haben chinesische high-tech-Firmen auch in Indien, das sich offiziell an der Belt and Road Initiative gar nicht beteiligt, durch etwa USD 4 Mrd-joint venture-Investitionen in indische start-ups erfolgreich Fuss gefasst. Indien ist damit de-facto in die Digitale Seidenstraße eingetreten. TikTok, eine video app, hat mit 200 Millionen Abonnenten YouTube in Indien offenbar abgehängt. Und chinesische Smartphones wie Oppo und Xiaomi, beherrschen nunmehr den indischen Markt mit Marktanteilen von zusammen über 70%; Apple und Samsung scheinen damit (vorerst) das Nachsehen zu haben.
Sie haben über Auswirkungen chinesischer Investitionen und Bauverträge im Transport-, Energie- und Versorgungssektor von 2012 bis Mitte 2019 berichtet, können Sie uns darüber eine Zusammenfassung geben?
Gemäß Angaben des China Global Investment Tracker (der Heritage Foundation, Washington D.C.) sind BRI-Investitionen (in den von Ihnen gerade erwähnten Sektoren, welche als statistische Approximation für BRI-Projektausgaben dienen können) am stärksten vertreten entweder in a) großen Nachbarländern Chinas (wie Pakistan, Russland, Kasachstan, Bangladesch, Australien, Malaysien und Indonesien) oder in b) strategisch gelegenen kleineren Ländern (z.B. Laos, Kambodscha, Kirgisien, Djibouti, Kenia, Brunei und Montenegro).
Wobei man hinzufügen muss, dass im Hinblick auf das mögliche Problem der „Schuldenfalle“ kleinere Länder wahrscheinlich weniger Spielraum oder Verhandlungsmacht haben, um ihre chinesischen Partner dazu zu bewegen, beschlossene Projekte substanziell zu modifizieren, sollten die betroffenen Länder die Notwendigkeit dazu sehen. In so einem Falle kann sich ein Land, sollte es in substanzielle Liquiditätsprobleme geraten, dann nur auf den Pragmatismus der Chinesen verlassen, und/oder möglicherweise auf andere interessierte Mächte als Geldgeber (z.B. Saudi Arabien, Indien, Japan), da der Zugang zu internationalen Kapitalmärkten, westlichen Banken oder multilateralen Institutionen schwierig wäre.
Eine Studie der Europäischen Handelskammer in China zeigt, dass europäische Unternehmen kaum Möglichkeiten haben, sich an dem Megaprojekt zu beteiligen, was ist der Grund dafür?
Im Unterschied zu Infrastrukturprojekten in Europa bzw. der Europäischen Union, wo i.d.R. eine öffentliche Ausschreibung stattfindet, scheint letzteres in China und bei den überwiegend chinesisch-finanzierten BRI-Projekten nicht (immer) der Fall zu sein. Obwohl das Land seit 2001 Mitglied der Welthandelsorganisation (WHO) ist, hat sich China bisher geweigert, den Government Procurement Act (GPA) der Organisation zu unterschreiben, der eine größere reziproke Öffnung der Beschaffungsmärkte bringen könnte. Auch innerhalb der EU gibt es unterschiedliche Positionen der Mitgliedsländer in Bezug auf die geforderte Stringenz eines Screenings (Bewilligungspflicht) für ausländische Direktinvestionen. Mittel- und osteuropäische Länder, die noch erheblichen infrastrukturellen Aufholbedarf haben, sind tendenziell offener, auch für preisgünstige Offerten und Invesitionen großer chinesischer Staatskonzerne, als westeuropäische Länder, die stärkere Bedenken haben gegenüber wettbewerbsverzerrenden Subventionen oder möglichen chinesischen Übernahmen heimischer high-tech-Firmen.
Eine Variante, Divergenzen (teilweise) zu überbrücken und eine Zusammenarbeit und sogar Synergieeffekte mit der BRI herbeizuführen, wäre ein stärkere europäische finanzielle Beteiligung (z.B. 50%?) an BRI-Projekten in Europa oder auch z.B. in Westbalkanländern oder Ländern der östlichen Nachbarschaft, insoweit letztere einverstanden sind. Damit erhielten diese Projekte auch eine übergreifende institutionelle Basis (EU-China), und ein anderes Niveau der operativen Zusammenarbeit im globalen Infrastrukturausbau würde erreicht. Eine Schwierigkeit dabei ist, von Seite der EU/ der europäischen Länder hinreichende Finanzmittel aufzutreiben; eine ganz andere aktuelle ist natürlich, dass die Bekämpfung der Coronavirus-Krise auch in Europa momentan absolute Priorität hat.
Zurzeit ist der Ausbruch und die Verbreitung des Coronavirus Thema Nr. 1 auf der ganzen Welt. Wie ist Ihre Meinung? Werden sich die Folgen der zunehmend globalen Epidemie auf die Wirtschaft auswirken, insbesondere auf China und die Pläne für die Neue Seidenstraße, und wenn ja, wie?
Seit Jänner/Februar 2020 sind in der Tat sowohl die Wirtschaft Chinas als auch die Belt and Road Initiative, wie oben bereits in verschiedenen Zusammenhängen erwähnt, durch den Ausbruch der Coronavirus-Seuche in eine schwere Krise gestürzt bzw. zumindest vorübergehend zum Stehen gebracht worden. Dies gilt bisher (zweite Hälfte März) vor allem für asiatische Nachbarländer Chinas, z.B. Kambodscha (BRI-Projekt Sihanoukville), Malaysien (East Coast Rail Link), Indonesien (Jakarta-Bandung high speed rail), Myanmar (Kyaukpyu deep sea port), Bangladesch (Padma bridge), Nepal und Sri Lanka, ferner für einige afrikanische Länder, wie Äthiopien und Nigerien. Aus Iran hat China viele Staatsbürger repatriiert. Die Transportleistung der globalen Schiffahrtsbranche hat im Februar das niedrigste monatliche Niveau der Wirtschaftskrise von 2008/2009 unterschritten. Probleme dürften sich auch bei den meisten anderen BRI-Kooperationspartnern, darunter in Europa, bemerkbar machen. Hier rächt sich in gewisser Weise die starke China-Importabhängigkeit der Neuen Seidenstraße: Da die allermeisten Projekte vor Ort überwiegend von chinesischen Arbeitern und Managern durchgeführt werden und von chinesischen Zulieferungen und Technologie abhängig sind, steht ein Belt and Road-Projekt sofort still oder verzögert sich, sobald der Zufluss chinesischer Arbeitskräfte (z.B. durch Einreisebeschränkungen) oder chinesischer Zulieferungen (z.B. durch Fabriksschließungen oder Herunterfahren der Produktion) ins Stottern gerät.
Anfang März wies Staatspräsident Xi Jinping die Chinesische Entwicklungsbank (CDB) an, Firmen, die in BRI-Projekten tätig sind und vom Ausbruch der Seuche betroffen wurden, finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Grundsätzlich wird China wegen des erlittenen schweren wirtschaftlichen Rückschlages viele Mittel prioritär in die Erholung und den Umbau der eigenen Wirtschaft investieren müssen. Auch viele Projektländer und BRI-Mitglieder werden wohl anderen dringenderen Fragen zumindest kurzfristig Vorrang einräumen müssen gegenüber BRI-Projekten. Unabhängig davon, wie rasch sich die lokale Situation nach der Coronavirus-Krise normalisiert, wäre die Neue Seidenstraße vermutlich weniger exponiert, und sicher auch populärer, wenn sie stärker auch lokale Arbeitskräfte und Inputs mit einbeziehen würde. Dem entspräche auch ein größerer lokaler finanzieller Beitrag, was aber sicher nicht überall leicht zu realisieren wäre.
In jedem Falle, bedenkt man die weiten Dimensionen und das geringe Alter der BRI, sind chinesische Investoren und ihre Partner dabei, vieles durch Versuch, Irrtum und Erfahrung zu lernen. Das schließt chinesische Hilfsflüge (mit hunderten Ärzten und dutzenden Tonnen medizinischer Güter und Ausrüstungen) nach Pakistan, Sri Lanka, in den Iran und den Irak, sowie in zahlreiche europäische Staaten, darunter das am stärksten in Mitleidenschaft gezogene BRI-Partnerland Italien mit ein, vor dem Hintergrund, dass in China gottseidank erste Erfolge im Kampf gegen die Seuche vermeldet werden. Inzwischen sind auch EU-Mitgliedstaaten dabei, sich gegenseitig mit verschiedenen praktischen Hilfen beizustehen. Ferner schickt sich Beijing offenbar an, Finanzhilfen für einige von der Pandemie betroffene/ bedrohte Länder freizugeben. So traf die Chinesische Entwicklungsbank (CDB) Mitte März zwei Vereinbarungen mit dem hochverschuldeten Sri Lanka über die Vergabe von USD 1.2 Mrd vergünstigter Kredite für Infrastrukturmodernisierung, Budgetstabilisierung, Schuldendienst und Kampf gegen den Coronavirus. Die in Beijing angesiedelte multilaterale AIIB hat bis Ende März von 20 ihrer 78 Mitglieder Bitten um Finanzhilfen im Kampf gegen die Seuche erhalten. Die Institution plant, mindestens USD 5 Mrd für diesen Zweck an Mitgliedsländer zu verleihen.
Stand: 3. April 2020
Svetlana Nenadovic-Glusac