Gemeinsamer Brief der Präsidenten Deutschlands, Italiens und Österreichs an die Wählerinnen und Wähler der Europawahl 2024.
Zum ersten Mal veröffentlichen die Präsidenten aus Deutschland, Italien und Österreich einen gemeinsamen Brief. In ihrer Botschaft an die Wählerinnen und Wähler bei der Europawahl 2024 rufen Frank-Walter Steinmeier, Sergio Mattarella und Alexander Van der Bellen dazu auf, mit der Stimmabgabe die europäische Demokratie zu stärken. Gleichzeitig warnen sie davor, die Demokratie als Selbstverständlichkeit zu sehen. Besonders die Länder Deutschland, Italien und Österreich wissen, was passieren kann, wenn die demokratische Ordnung zerstört wird. Der gemeinsame Brief erscheint im Corriere della Sera, im deutschen Tagesspiegel und in Österreich in der Kleinen Zeitung, der Presse, den Oberösterreichischen Nachrichten, den Salzburger Nachrichten, der Tiroler Tageszeitung, den Vorarlberger Nachrichten.
2024 wird in Ländern, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, gewählt.
Für die Demokratie in Europa und in vielen Teilen der Welt wird es ein wichtiges Jahr. In nicht allzu ferner Zukunft könnten wir es sogar als entscheidendes Jahr betrachten, in dem die Weichen für die folgenden Jahrzehnte gestellt wurden.
Über 400 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger können ihre Vertreterinnen und Vertreter im Europäischen Parlament bestimmen, denen sie die Gestaltung unseres künftigen Europas anvertrauen. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, welche Zukunftsperspektiven wir sichern und wie wir die uns bevorstehenden gewaltigen Herausforderungen angehen wollen.
Als Staatsoberhäupter rufen wir unsere Bürgerinnen und Bürger auf, sich an dieser Entscheidung zu beteiligen und wählen zu gehen!
Wir sehen weltweit, dass die Grundwerte des Pluralismus, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit – unsere Werte – infrage gestellt, wenn nicht gar offen bedroht werden. Es geht um nicht weniger als die Grundfesten unserer demokratischen Ordnung. Eine Ordnung, in der informierte Bürgerinnen und Bürger von den Regierungen erwarten, dass sie Verantwortung übernehmen, in der starken Institutionen die Rechte aller – insbesondere der Minderheiten – garantieren und in der Politik ein Prozess der Suche nach Lösungen durch eine lebhafte, aber zivilisierte Debatte ist.
Unsere drei Länder wissen, dass die Demokratie, auch nachdem sie einmal erlangt wurde, nicht selbstverständlich ist. Wir wissen, dass Freiheit und Demokratie verteidigt und gefestigt werden müssen, dass eine Konfrontation überzogener Nationalismen zu Krieg führt. Die Geschichte lehrt, dass dort, wo es an Demokratie mangelt, Menschlichkeit und politische Vernunft erstickt werden.
Wir wissen, dass Freiheit und Demokratie verteidigt und gefestigt werden müssen.
Als Präsidenten liberaler Demokratien fühlen wir uns geehrt, unsere vielfältigen Gesellschaften mit ihren zahlreichen Meinungen und Kulturen zu vertreten. Als Präsidenten wissen wir, dass diese Gesellschaften zu vertreten bedeutet, viele Stimmen zu hören und viele Meinungen zusammenzubringen. Daher ist es unerlässlich, die demokratischen Institutionen und Werte, die Freiheitsgarantien, die Unabhängigkeit der Medien, die Rolle der demokratischen politischen Opposition, die Gewaltenteilung und die Bedeutung von Grenzen der Machtausübung zu verteidigen.
Unsere freiheitliche demokratische Ordnung ist eng mit der europäischen Einigung verbunden: Durch unsere Verankerung in einer europäischen Werte- und Rechtsgemeinschaft haben wir der Welt gezeigt, wie ein Zusammenleben auf der Grundlage der demokratischen Ordnung und des Friedens gelingen kann.
Es überrascht nicht, dass jene, die die grundlegenden demokratischen Prinzipien infrage stellen, auch das europäische Projekt infrage stellen. Sie vergessen, dass die europäischen Demokratien in einer Welt, in der die Zahl autoritärer Systeme steigt, wahrhaft geeint sein müssen. Nur in einer starken Europäischen Union werden wir genügend Gewicht haben, um unsere Freiheit und unsere Demokratie in einer zunehmend unsicheren Welt zu verteidigen und uns für eine globale Ordnung einzusetzen, die von Freiheit, der Würde jedes Menschen sowie der Achtung jedes Staates und des Völkerrechts geprägt ist.
Das geeinte Europa ist ohne Demokratie undenkbar, und die europäische Demokratie braucht Demokraten in ganz Europa: Bürgerinnen und Bürger, die die demokratische Freiheit als ihr eigenstes Interesse verstehen.
Wählen zu gehen ist ein einfaches, aber mächtiges Mittel, um dieses Modell zu bestärken und zu konsolidieren.
Die europäische Demokratie braucht Demokraten in ganz Europa.
Es ist ermutigend, dass viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger hart daran arbeiten, das demokratische Gefüge, welches uns im Alltag verbindet, zu stärken und zu verteidigen. Sie stellen ihre Zeit und Kraft freiwillig zur Verfügung, um den Schwächeren zu helfen und übernehmen Verantwortung in Vereinen, Gemeinden und Politik.
Unsere Demokratien sind stark, weil sie von engagierten Bürgerinnen und Bürgern getragen werden. So unterscheiden sie sich radikal von Regimen, die ihre Bürgerinnen und Bürger unterdrücken, Angst in ihren Gesellschaften schüren und ihre Nachbarn bedrohen.
Die kommende Wahl zum Europäischen Parlament bietet die Gelegenheit, Vertreterinnen und Vertreter zu wählen, die sich für konstruktive Lösungen einsetzen und gleichzeitig die Komplexität des demokratischen Systems akzeptieren. Wir nutzen diese Chance, wenn wir dieses Grundrecht ausüben.
Durch die Teilnahme an der Wahl werden die liberalen Institutionen, der Rechtsstaat, unsere Grundwerte, unsere gemeinsame Freiheit verteidigt.
Wir sind wahrhaft “in Vielfalt geeint”, in unseren Ländern und in unserer Europäischen Union.
Dies hat uns ermöglicht, in einem Europa zu leben, das friedlicher und wohlhabender denn je ist. Es ist ein großes Erbe, das sich durch die Ausübung des demokratischen Wahlrechts zu verteidigen und weiterzuentwickeln lohnt.
Sergio Mattarella Staatspräsident der Republik Italien |
Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland |
Alexander Van der Bellen Bundespräsident der Republik Österreich |
Quelle: HBF