Das Jüdische Museum Wien befasst sich ab 22. Juni mit Liebe und Sexualität im Judentum. Die Ausstellung im Museum Dorotheergasse geht vom paradiesischen Zustand nach der Erschaffung der Welt aus. Besucher*innen können über die Betrachtung von Liebe und Sexualität in Tora und Talmud, jüdische Hochzeitsrituale, Wien als Zentrum der Sexualwissenschaft um 1900, bis hin zu “Dr. Ruth” Westheimer und den aktuellen Diskussionen im modernen Judentum zu Partnerschaft und LGBTIQ-Themen erfahren.
Himmlische Lust
Im Judentum nehmen Liebe und Sexualität einen hohen Stellenwert ein. Dass der Anfang des Lebens eine zwischenmenschliche Beziehung voraussetzt, proklamiert schon die Tora: “Gott segnete Adam und Eva und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret Euch und erfüllet die Erde.” Sexualität ist somit ein natürlicher Bestandteil des Lebens. Dass beide Partner dabei Glücksgefühle empfinden, gilt als Pflicht. Die freudige und lebensbejahende Tradition des Judentums wirkt in Ehe und Beziehungen ein. Reinheitsgebote spielen dabei eine wichtige Rolle. In der Kabbala hat die Sexualität eine spirituelle und kosmische Dimension. Die Verbindung von Mann und Frau ist eine Vereinigung von Weisheit und Verstand, die Erkenntnis schafft. Die Hochzeit ist ein heiliges Ereignis, das den Menschen vollkommen macht. Um die stetige Neuverhandlung dieser Grundlagen zu zeigen, sollen in der Ausstellung auch die Ansichten aktuell in Wien tätiger Rabbiner zu den unterschiedlichsten Themen durch Interviews aufgezeigt werden.
Der Paradiesgarten von André Heller und zeitgenössische Kunst
In der Ausstellung nimmt auch die Auseinandersetzung von Sexualität und zeitgenössischer Kunst einen hohen Stellenwert ein. Erstmals wird André Hellers Paradiesgarten in einem Museum präsentiert. Als magischer Ort der Sinnlichkeit, des Staunens, der Kontemplation, der Freude, der Heilung und der Inspiration wird André Hellers Paradiesgarten Anima bei Marrakech beschrieben. André Heller schafft mit seinen Gärten eine Vorstellung des irdischen Gartens Eden. Sie sollen uns in das Paradies als Ursprung allen Lebens und der Sexualität führen. Dort beginnt unsere Entdeckungsreise zu Liebe und Sexualität im Judentum. Ein offener Umgang mit Sexualität zeigt sich vor allem in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Viele Kunstschaffende, wie Arik Brauer, Marc Chagall, Eva Schlegel, Benyamin Reich, Pablo Picasso und Friedensreich Hundertwasser, beschäftigen sich in ihren Werken mit Liebe und Sex und sind mit ihren Arbeiten in der Ausstellung vertreten.
Die Wiener jüdische Gemeinde vor 1938
Vor der Auslöschung der jüdischen Gemeinde, 1421, waren jüdische Hochzeiten in Wien vermutlich weitgehend frei möglich, was sich später infolge massiver Beschränkungen änderte. Erlässe schränkten Hochzeiten ein. Eheschließungen waren meist arrangiert. Sie dienten oft der Versorgung der Töchter, zur Verfestigung familiärer und beruflicher Allianzen – wie es in der Aristokratie üblich war. So heirateten etwa “Ringstraßenfamilien” untereinander. Mit dem Toleranzedikt von Kaiser Franz Joseph I. strömten Tausende Jüd*innen aus der gesamten Monarchie nach Wien. Auch die Zahl der Eheschließungen stieg rapid an. Ab 1868 bestand die Möglichkeit der Zivilehe, wenn ein konfessionelles Ehehindernis bestand. Damit konnten auch Mischehen geschlossen werden, die während der Zeit des Nationalsozialismus einen gewissen Schutz für den jüdischen Teil des Paares bedeutete. 1938 machten die Nationalsozialisten die Zivilehe verpflichtend.
Wien als Zentrum der modernen Sexualwissenschaft
Wien wurde im späten 19. Jahrhundert ein Zentrum der modernen Sexualwissenschaft. Hier schlug auch die Geburtsstunde von Sigmund Freuds Psychoanalyse. Andererseits war die Stadt geprägt von Bigotterie. So musste beispielsweise Leo Schidrowitz, der nach dem Vorbild von Magnus Hirschfeld ein modernes Institut für Sexualwissenschaft am Wiener Kohlmarkt gegründet hatte, dieses bereits um 1933 wieder schließen. Diese Ambivalenzen führten zu fruchtbaren Debatten, die sich vor allem im kulturellen Bereich zeigten.
Sexualität und Holocaust
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden viele auf den Gebieten der Sexualwissenschaft federführende Jüd*innen verfolgt, vertrieben, deportiert und ermordet. Sexualität, die nicht den NS-Normen entsprach, bedeutete in der Shoah auch für unzählige Menschen das Todesurteil. Während das NS-Regime Sexualität als gewaltsame Waffe der Erniedrigung und Zerstörung einsetzte, finden sich unter Verfolgten und Inhaftierten auch Beispiele von Liebe und Sexualität als Überlebensstrategien und Schimmer der Hoffnung. Doch auch nach dem Krieg spielte das Erlebte weiter in den persönlichen Lebensbereich hinein. Folgen von Zwangssterilisation oder medizinischen Versuchen, genauso wie Mangelernährung, Folter und die psychische Verarbeitung des Erlebten, machte es vielen der Überlebenden schwer, wieder unbeschwerte Sexualität genießen zu können. Viele hatten auch ihre Partner*innen während der Shoah verloren. In den DP-Lagern der Nachkriegszeit fanden sich jedoch oft Paare, die meist schon nach kurzer Zeit Ehen schlossen.
100 Prozent unkoscher?
Jüdisch und queer Grundsätzlich sind männliche homosexuelle Handlungen im Judentum verboten. In der Tora steht: “Du sollst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; ein Greuel ist das” (Wajjikra/Lev 18, 22). Weibliche Homosexualität wird weder in der Tora, noch in der rabbinischen Literatur erwähnt. Im Gegensatz zum orthodoxen Judentum sind konservative und liberale Gemeinden offener. So werden in der Wiener Gemeinde Or Chadasch auch Trauungen gleichgeschlechtlicher Partner gefeiert. Mit der Gründung des Kibbutz Klub im Jahr 2013 verbreitete sich auch in Wien ein weltoffeneres Lebensgefühl nach dem Vorbild Tel Avivs. Trotzdem sehen sich queere Mitglieder der orthodox geprägten Wiener Israelitischen Kultusgemeinde mit einer weitgehenden Ablehnung von Homosexualität konfrontiert.
Jüdisch und queer
Grundsätzlich sind männliche homosexuelle Handlungen im Judentum verboten. In der Tora steht: “Du sollst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; ein Greuel ist das” (Wajjikra/Lev 18, 22). Weibliche Homosexualität wird weder in der Tora, noch in der rabbinischen Literatur erwähnt. Im Gegensatz zum orthodoxen Judentum sind konservative und liberale Gemeinden offener. So werden in der Wiener Gemeinde Or Chadasch auch Trauungen gleichgeschlechtlicher Partner gefeiert. Mit der Gründung des Kibbutz Klub im Jahr 2013 verbreitete sich auch in Wien ein weltoffeneres Lebensgefühl nach dem Vorbild Tel Avivs. Trotzdem sehen sich queere Mitglieder der orthodox geprägten Wiener Israelitischen Kultusgemeinde mit einer weitgehenden Ablehnung von Homosexualität konfrontiert.
Ausstellung “Love me Kosher. Liebe und Sexualität im Judentum” – bis 13. Oktober 2022
Jüdisches Museum Wien / Dorotheergasse 11, 1010 Wien