Kokoschkas Windsbraut, die sich nicht traut


Im Kunsthaus Zürich öffnet die große Kokoschka-Retrospektive, die 2019 ans Leopold-Museum geht. Kuratorin Cathérine Hug über die “Windsbraut”, die Basel nicht verlassen darf, und das gar nicht so traumatische Alma-Trauma.

Bild: Nicht Alma, Käthe Richter ist in „Liebespaar mit Katze“ (1917) dargestellt. – (c) Franca Candrian, Kunsthaus Zürich

Ein Jahr bevor man den 40. Todestag Oskar Kokoschkas begehen könnte, prescht das Kunsthaus Zürich vor: mit der ersten großen Retrospektive dieses österreichischen Malers, der so lang am Genfer See gewohnt hat, in der Schweiz seit über 30 Jahren. In knapp zwei Wochen geht’s los, am 13. Dezember wird die mit 200 Werken bestallte Schau eröffnet. Sie feiert Gemälde wie Zeichnungen in gleichem Ausmaß, eine Ausgewogenheit, die Kuratorin Cathérine Hug besonders wichtig war, wie sie betont.

Seit einigen Jahren schon arbeitet die Schweizerin, der ein internationaler Beirat (Régine Bonnefoit von der Université de Neuchâtel, Katharina Erling, Mitherausgeberin des Gemälde-Werkverzeichnisses, Bernadette Reinhold vom Wiener Kokoschka-Zentrum) beiseitegestanden ist, an dieser Ausstellung. Was ihr aus mehreren Gründen Vergnügen bereitet: Erstens sei Kokoschka für sie eine logische Nachfolge ihrer Beschäftigung mit Francis Picabia, dessen Retrospektive sie 2016 für Zürich und fürs MoMA New York betreute. Sie sind schließlich beide, auf unterschiedliche Weise, wesentlich für die Entwicklung der Malerei im 20. Jahrhundert.

Zweitens genießt Hug ihren doppelten Blick auf Kokoschka – den von außen, von Zürich. Und den von innen sozusagen, den zum Teil mystifizierenden Blick auf den Künstler, den sie kennenlernte, als sie von 2008 bis 2013 Kuratorin der Wiener Kunsthalle war. Nach Wien wird die Retrospektive auch weiterwandern, ans Leopold-Museum, betreut von Kokuratorin Heike Eipeldauer. Von dort kommen natürlich Leihgaben, viele weitere aus Albertina, Belvedere, BA-Kunstsammlung, privaten Sammlungen. Etwa der Dichands, in der sich zumindest 2008 noch, bei einer Ausstellung im Belvedere, das Fresko befand, das Kokoschka Alma Mahler über ihren Kamin in der Semmering-Villa malte.

Zu den Höhepunkten zählt auch die Zusammenführung zweier weiterer Wandgemälde: Das acht Meter breite Triptychon „Prometheus“ hat Kokoschka 1950 im Londoner Exil für einen anderen Exilösterreicher geplant, eigentlich als Deckengemälde. (Den schrägen Malprozess hielt übrigens die surrealistische US-Fotografin Lee Miller fest.) Es ist heute in der Courtauld Gallery verwahrt und war erst einmal außerhalb Londons zu sehen, 1952, bei der Biennale Venedig. In Zürich trifft es jetzt, frisch restauriert, auf die ebenfalls dreiteiligen „Thermopylen“ für die Universität Hamburg. Man erkennt schon an diesen Leihgaben die auch geografische Spannweite Kokoschkas, der ab dem Ersten Weltkrieg nahezu nomadisch durch Europa gereist ist. Dieses Europäertum, dieser nationalismuskritische Ansatz kommt in Schrift und Werk stark zum Ausdruck. „Er hat das physisch gelebt und umgesetzt“, so Hug. Anders als in Wien, wo besonders der frühe Kokoschka zelebriert werde, haben sie vor allem die Dresdner Jahre der 1920er fasziniert: Kokoschkas patchworkartige Reduktion des Landschaftsbegriffs sei wegweisend für die spätexpressionistische Landschaftsmalerei gewesen, meint Hug.

Nicht unbedingt im Mittelpunkt steht Kokoschkas Frauenbild. Die berühmte Alma-Puppe aber erfährt sehr wohl eine kritische Betrachtung: Die Münchner Macherin des Puppenfetischs, Hermine Moos, die sich selbst als Malerin verstanden hat, wird unter Berücksichtigung neuesten biografischen Materials beleuchtet. Die Puppe selbst wird als einer der vielen Nachbauten vertreten sein, und zwar als jener vom Künstler Denis Savary, der Kokoschkas briefliche Anweisungen 2007 einer Schweizer Näherin schickte. Das Ergebnis ist verblüffend.

War er wirklich von Alma besessen?

Auch Kokoschkas „Besessenheit“ von Alma wird hinterfragt, schließlich traten schnell wieder andere, wichtige Frauen in sein Leben, so Hug. Schon zu „Puppenzeiten“ etwa Schauspielerin Käthe Richter (siehe Abbildung), die ihm ab 1916 enge Vertraute war. Das „Trauma“ Alma sei also gar nicht so traumatisch gewesen, vermutet Hug, pflegten Kokoschka und Alma doch bis zu deren Tod auch einen freundschaftlichen Austausch.

Kokoschkas Alma-Hauptwerk, die „Windsbraut“, fehlt dennoch schmerzlich. Und weit hätte sie es auch nicht gehabt. Doch aus konservatorischen Gründen verleiht das Kunstmuseum Basel das Bild seit den 1950er-Jahren nicht mehr. 1937 wurde es bei der „Entartete Kunst“-Ausstellung der Nazis in München diffamiert. 1939 ist es in die Schweiz veräußert worden. Kokoschka, der Homo politicus, wurde sicher von seiner künstlerischen Verfolgung durch die Nazis geprägt. Sein Kampf für die Freiheit, auch die der Kunst, ließ ihn immer wieder die Nähe von Politikern suchen. Konrad Adenauer etwa. Wieder ein Bild, das nicht verfügbar gewesen sei, so Hug. Es hängt im Büro von Angela Merkel. Kokoschkas Porträt von Theodor Körner (Lentos-Museum) sei dagegen noch zu haben gewesen.

Kunsthaus Zürich, vom 14. Dezember bis 10. März 2019

Leopold-Museum, vom 6. April bis 8. Juli 2019

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 03.12.2018)