I. E. Vivian Okeke ist seit vielen Jahren im Außenministerium von Nigeria beschäftigt, wo sie verschiedene Positionen innehatte und ihre politische Karriere aufbaute. Frau Okeke ist verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Kindern, drei Töchtern und einem Sohn.
Frau Okekes vorhergehende Position im Außenministerium in Abuja war die der Leiterin der Abteilung für Amerika und Karibik. Dabei war Vivien Okeke für mehrere Länder dieser beiden wichtigen Kontinente verantwortlich. (Sie war verantwortlich für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nigeria und den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Mexiko, Brasilien, Venezuela, Kuba, Ecuador, Kolumbien, Jamaika, Trinidad und Tobago sowie mehreren anderen lateinamerikanischen und karibischen Ländern).
Neben dem oben genannten Sektor war Frau Okeke stellvertretende Direktorin der Abteilung der Vereinten Nationen im Außenministerium von Abuja, wo sie sich für die Aufgaben der nuklearen Abrüstung, des Übereinkommens über chemische Waffen, des Übereinkommens über biologische Waffen und anderer Massenvernichtungswaffen einsetzte.
Darüber hinaus ist Frau Okeke an der Arbeit vieler Organisationen beteiligt und ist Teilnehmerin an Konferenzen internationaler Organisationen, darunter auch an der Konferenz über die Stellung der Frau (UN), der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) und der jährlichen ordentlichen Tagung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO).
Seit 2017 ist I.E. Vivian Okeke Botschafterin der Bundesrepublik Nigeria in der Republik Österreich und der Slowakei sowie Ständige Vertreterin von Nigeria bei den Internationalen Organisationen in Wien.
Im Interview für das Magazin “Diplomacy and Commerce” sprachen wir mit der nigerianischen Botschafterin Vivian Okeke über die Anzahl der nigerianischen Diaspora, über die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Nigerias mit der EU, mit Österreich und dem Rest der Welt, über die Afrikanische Union (Gründung des African Continental Free Trade Agreement (AfCFTA)), darüber, wer Nigerias wichtigste Wirtschaftspartner sind, über die Ölvorkommen und ihre Bedeutung für Nigeria, sowie über die islamistische Terrororganisation Boko Haram, deren Tätigkeit ein großes Problem für Nigeria darstellt.
Nigeria stellt mit seinen 180 Millionen Einwohnern den Staat mit der größten Einwohnerzahl in Afrika dar. Wissen Sie, wie groß die Diaspora in Österreich, in der EU und überhaupt in der ganzen Welt ist?
Nigeria ist der bevölkerungsreichste schwarze Staat auf der Welt. Von über 180 Millionen Nigerianern im Jahr 2016 waren etwa 70% unter 35 Jahre alt, während über 41% unter 15 waren. Dies bedeutet, dass die Jugend von Nigeria in der eindeutigen Mehrheit ist. Konsequenterweise ist die Rate der Emigration bei vielen Nigerianern in die Diaspora hoch. In Österreich haben wir etwa 10.000 Nigerianer, von denen die meisten in Wien leben. Nigerianer leben in großer Zahl in anderen Teilen der EU, sowie in Amerika und Asien.
Bevor Sie die nigerianische Botschafterin in Österreich wurden, waren Sie Leiterin der Abteilung für Amerika und die Karibik und damit auch für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nigeria und den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Mexiko, Brasilien, Venezuela, Kuba, Ecuador, Kolumbien, Jamaika, Trinidad und Tobago verantwortlich. Welche Beziehungen hat Nigeria zu diesen Ländern aufgebaut?
Nigerias Verhältnisse zu vielen von diesen Staaten sind langjährig und ziemlich stabil, vor allem in den Bereichen des Handels und der kommerziellen Beziehungen sowie der politischen Zusammenarbeit. Als ich in den USA arbeitete, führte ich ein Geschäfts- und Investmentforum und meiner Erfahrung nach gab es viele Möglichkeiten für gegenseitige Investitionen und Handel zwischen Nigeria und den USA. Das, was nötig ist, sind Möglichkeiten, dass es Inhabern kleiner und mittelgroßer Unternehmen ermöglicht wird, ihre Geschäftspartner zu treffen und bedeutungsvolle Austäusche zu etablieren. Wir haben auch kulturell starke Verbindungen zu einigen lateinamerikanischen und karibischen Ländern. Wir führen den Ausbau und die Förderung dieser Verbindungen durch unsere Diplomatie weiter.
Was für politische und wirtschaftliche Beziehungen pflegt Nigeria zur EU und Österreich, und worin sehen Sie das Potenzial zu einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit?
Nigerias politische und ökonomische Beziehungen zur EU sind ziemlich robust und freundschaftlich. Diese Beziehungen werden im Rahmen des größeren Cotonou Abkommens (2000 – 2020) und letztlich der gemeinsamen Afrika-EU-Strategie (2007), die von den afrikanischen Staatsoberhäuptern und Regierungen der AU und der EU unterschrieben wurden, geregelt. Die Kooperation zwischen der EU und Nigeria wuchs und erweiterte sich besonders innerhalb des letzten Jahrzehntes mit dem Dokument EU-Nigeria Joint Way Forward, das im Jahre 2009 unterschrieben wurde. Darüber hinaus haben Nigeria und die EU ein strategisches Dokument, dass den Fokus auf die Sektoren der Zusammenarbeit von 2014 bis 2020 umreißt. Dies ist das sogenannte National Indicative Programme for Nigeria (Nationales Richtprogramm für Nigeria), das unter dem 11-ten Europäischen Etwicklungsfond (EDF) implementiert wird. Es gibt auch eine solide ökonomische Zusammenarbeit mit mehreren EU-Investoren in den Bereichen Energie, Klima- und Umweltmaßnahmen und Qualitätsinfrastruktur.
Die EU und Nigeria haben eine sehr produktive Zusammenarbeit, die ordnungspolitische Fragen und Menschenrechte, Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, humanitäre Unterstützung, Krisen- und Krisenfolgehilfe umfasst. Die Strategie der Zusammenarbeit fokussiert sich auf Reformen der Politikgestaltung – auf allen drei Ebenen der Regierung – den Kampf gegen Korruption; Migration und Menschenhandel und auf den Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Reformen in der Justiz. Sie fördert auch die Verbesserung von Aufsicht und Überwachungskapazitäten von nichtstaatlichen Akteuren und der Massenmedien.
Nigerias politische Beziehung mit Österreich sind auch freundschaftlich und die ökonomischen Beziehungen haben einen gegenseitigen Handelswert von rund 200 Millionen US-Dollar. Die wichtigsten Handelswaren sind Rohöl und Textilien (Spitzenstoffe). Viele österreichische Unternehmen sind auch in der Dienstleitungsindustrie in Nigeria aktiv, vor allem in der elektrischen/energieversorgenden Infrastruktur, Krankenhausausstattung, erneuerbarer Energie und technologischen Lösungen.
Experten sind der Meinung, dass Afrika in der Zukunft der reichste Kontinent sein wird. Mit der Gründung des African Continental Free Trade Agreement (AfCFTA) und der Einführung des Freihandelsabkommens entstehen neue Gelegenheiten für die Prosperität dieses Kontinents. Warum zögerte Nigeria mit seinem Beitritt zum AfCFTA und befand sich damit unter den letzten Staaten, die unterzeichneten?
Zuerst möchte ich betonen, dass Nigeria an der Spitze des Entschlusses war, mit der AfCFTA in ihren anfänglichen Phasen zu verhandeln und dass es ein sehr aktiver Teilnehmer während der Verhandlungen war. Nigeria zögerte das AfCFTA zu unterschreiben, nicht aus dem Grund, dass die Idee nicht lobenswert war oder als Ablehnung des Handelsabkommens, sondern weil die Regierung Zeit brauchte, um dies mit den wichtigsten Interessensvertretern im Land zu besprechen, damit sie, die industriellen Unternehmer in Nigeria, sich auf die Veränderungen, die stattfinden werden, vorbereiten können. Nach den nötigen Konsultationen unterschrieb Nigeria das Handelsabkommen und wir sehen nun enthusiastisch seiner Implementierung entgegen.
Die beiden wirtschaftlich stärksten Länder des afrikanischen Kontinents sind die Republik Südafrika und Nigeria. Außerdem ist Nigeria mit seinen fast 200 Millionen Einwohnern das wirtschaftlich wichtigste Land. Wie sehen die Prognosen aus und was erwartet Nigeria von seiner Mitgliedschaft im AfCFTA?
Das African Continental Free Trade Agreement beantragt die Kreierung eines einheitlichen Marktes für Waren und Dienstleistungen, mit Reisefreiheit von Menschen und Investitionen in über 55 Staaten. Nigeria wird seine enormen Bevölkerungs- und Marktpotentiale maximieren, um eine aktive Rolle bei der Implementierung des AfCFTA zu spielen. Von gesteigerten Warenlieferungen und Dienstleistungen in alle Subregionen der ECOWAS, inklusive Arbeitskräften, wird erwartet, dass sie einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft von Nigeria haben werden. Nigeria erwartet zudem, dass es seine Mitgliedschaft dazu nutzen kann, Möglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmer zu schaffen, um sich zu entwickeln und gegen die Konkurrenz antreten zu können und damit Jobs für die arbeitslose Jugend zu schaffen.
Es wurde angekündigt, dass 2020 das visumfreie Reisen innerhalb der Zone für alle Einwohner der Länder, die das Abkommen unterzeichneten, möglich sein wird und dass zu diesem Zeitpunkt auch der Pass der Afrikanischen Union eingeführt werden wird. Was bringt diese Veränderung den einzelnen Einwohnern und was bedeutet sie für die Wirtschaft?
Von der Reisefreiheit für Menschen, obwohl sie etwas später kommen wird, wird erwartet, dass sie die grenzenlose Mobilität von Waren katalysiert und die Integration auf dem Kontinent verbessert. Trotz des Problems der Unsicherheit, die verschiedene Teile des Kontinents plagt, ist es wichtig sicherzustellen, dass die Leute sich so frei wie die Waren bewegen können, damit die ökonomische Prosperität, die wir uns durch die AfCFTA vorstellen, weiter gedeihen kann.
Nigeria ist eines der wichtigsten Exportländer von Erdöl der Welt. Wie wichtig ist Erdöl als Ressource für die Wirtschaft Ihres Landes?
Nigerias finanzielle Einnahmen aus Erdöl- und Erdgasexporten waren eine Unterstützung der Wirtschaft seit einem halben Jahrhundert. Sie haben das Land in eine privilegierte Position im Bezug auf die Finanzierung ihres nationalen Entwicklungsplans gebracht. Jedoch hat Nigeria vor kurzem begonnen, andere Sektoren zu erforschen, die noch mehr Potential haben, die Wirtschaft zu stabilisieren und wir stellen uns auf die Seite der Nachhaltigkeit. Diese Sektoren umfassen Landwirtschaft, Energie und Bodenschätze sowie dem enormen Marktpotential aufgrund des demografischen Vorteils von einer mehrheitlich jungen Bevölkerung, das wiederum vergleichsweise billige Arbeitskraft für Investoren in allen Sektoren der Wirtschaft bedeutet. Der Staat hat bedeutende Reformen durchgeführt, besonders im Bereich des Finanzmanagements, um die Korruption zu bekämpfen und die Wirtschaft zu diversifizieren.
An der politischen Front wird das Land als entstehende Demokratie gesehen. Allerdings ist es im Norden mit radikal-islamistischem Widerstand konfrontiert – der Boko Haram – und erneuter Instabilität in anderen Teilen des Landes.
Welche Wirtschaftszweige – neben dem Erdölexport, der die größte nigerianische Ressource ist – haben das größte Potenzial?
Nigeria hat eine große Ressource an menschlicher Arbeitskraft, die hauptsächlich aus einer großen, geschulten Population besteht. Dies fördert den Großteil der sekundären und tertiären Sektoren der nigerianischen Ökonomie. Jedoch sind die primären Sektoren der nigerianischen Ökonomie Landwirtschaft, Erdöl und Erdgas. Die Landwirtschaft in Nigeria hat ein großes Potential wegen der sehr großen anbaufähigen Landstriche und den vorteilhaften Klimabedingungen. Die Regierung lädt Investoren, vor allem im Bereich der Verarbeitung von Agrarerzeugnissen, ein.
Experten nach, ist China einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Afrikas geworden. Wie viele Investitionen hat China in Nigeria und welche anderen Länder zeigen ein Interesse daran, in die nigerianische Wirtschaft zu investieren?
China hat eine beträchtliche Anzahl von Investitionen in Nigeria und dem Rest von Afrika, aber neben China gibt es viele andere Partner, die EU inklusive. Da Afrika die neue ökonomische Destination für die meisten Länder ist, gibt es mehrere Länder, die daran interessiert sind, in Afrika generell und in Nigeria im Besonderen, zu investieren.
Sie waren auch stellvertretende Direktorin der Abteilung der Vereinten Nationen, innerhalb des Außenministeriums in Abuja, wo Sie sich für die nukleare Abrüstung, für das Übereinkommen über chemische Waffen, für das Übereinkommen über biologische Waffen und das Verbot anderer Massenvernichtungswaffen einsetzten. Was ist die offizielle Stellung Nigerias zu diesem Thema?
Die Haltung, die Nigeria zu diesem Thema einnimmt, ist ziemlich einfach und sie ist auf das Engagement für den internationalen Frieden und die Sicherheit zurückzuführen. Wir glauben, dass die Nichtverbreitung von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen die Welt zu einem besseren und sicheren Ort machen würde, denn ein Atomwaffenkrieg kann nicht gewonnen werden und sollte auch nicht geführt werden. Wir haben auch alle relevanten internationalen Verträge unterzeichnet, um diese Idee zu fördern – wie den Atomwaffensperrvertrag, den Kernwaffenteststopp-Vertrag und den Atomwaffenverbotsvertrag. Wir hoffen weiterhin, dass wir eines Tages in einer Welt ohne Angst vor Atomkriegen und gegenseitiger Zerstörung leben werden. Außerdem sind wir uns dessen bewusst, das chemische und biologische Waffen, wie auch Kleinwaffen und leichte Waffen, in Konfliktsituationen ein großes Problem sein können, vor allem für Frauen und Kinder, und arbeiten deswegen mit unseren Partnern weltweit daran, dass chemische und biologische Waffen verboten werden und dass die Nutzung von Kleinwaffen und leichten Waffen reguliert wird.
Während Nigeria mit großen Schritten in Richtung Prosperität schreitet, stellen die Aktivitäten der islamistischen Terrororganisation Boko Haram ein großes Problem dar. Wie bekämpft der Staat diese Aktivitäten und inwiefern haben Sie einen Einfluss auf die Entwicklung von Nigeria?
In der Tat, Boko Haram stellte Nigerias sozio-ökonomischen Fortschritt im letzten Jahrzehnt vor ernste Herausforderungen. Jedoch hat sich auch die nigerianische Regierung in dieser Zeit keine Auszeit genommen. Die Regierung hat zahlreiche Initiativen ergriffen, um die Boko-Haram-Sekte zu schwächen, ihre Angriffe einzuschränken und die Normalität in den vom Aufstand betroffenen Gebiete wiederherzustellen. Einige davon sind gemeinsame Militäreinsätze mit Niger, Kamerun und dem Tschad, unter dem Namen Multinational Joint Task Force; es wurden außerdem gemeinsame zivile Sondereinheiten eingerichtet; eine Sensibilisierung und Orientierung der Bevölkerung wurde vorgenommen; es wurden Antiterrorgesetze verabschiedet und internationale Terrorismusmaßnahmen domestiziert; weitere Schritte, die vorgenommen worden sind, sind Wiederaufbau, Rehabilitation und Neuansiedlung; eine Initiative für sichere Schulen wurde gegründet; Deradikalisierungsprogramme; die Mittelzuweisung für die betroffenen Gebiete wurde erhöht und vieles mehr. Viele dieser Initiativen wurden mithilfe von zahlreichen internationalen Partnern, die Europäische Union miteingeschlossen, entwickelt und durchgeführt.
Ende Juli diesen Jahres wurden sechs Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisation Action Against Hunger entführt. Darüber wurde weltweit berichtet. Wie sehr zerstören diese Tätigkeiten von terroristischen Gruppen das Bild von einem modernen Nigeria?
Über die Entführung wurde weltweit berichtet, jedoch hat keine terroristische Organisation die Verantwortung für diese Entführung übernommen. Unabhängig vom Sachverhalt, der diesen Fall betrifft, kann ich sagen, dass die Tätigkeiten der Aufständischen Nigeria doch ein negatives Image in der internationalen Gemeinschaft verliehen haben. Sie haben auch Angst und Unsicherheit bei Ausländern verursacht, was diese davon abhält, Nigeria weder geschäftlich noch touristisch zu besuchen. Deshalb kämpfen die Regierung und alle Beteiligten weiterhin hart dafür, dass der Aufstand bald Geschichte ist. Wir zählen auf die Unterstützung aller wohlwollenden Partner, um im Nordosten Nigerias wieder Normalität herstellen zu können.
(Svetlana Nenadovic-Glusac)
Fotos: Diplomacy and Commerce Austria