Pippi war einfach ein fixer Bestandteil meiner Kindheit
„Ich bin mit Pippi Langstrumpf aufgewachsen. Seit ich denken kann und weiß, was ein Buch ist, war Pippi in meinem Leben präsent.
Ich bin die älteste von drei Schwestern und im Gegensatz zu meinen Schwestern, war ich viel bubenhafter.
Ich kann nicht sagen, dass ich Pippi als Vorbild gesehen habe, sie war einfach ein natürlicher Teil meiner Kindheit. Sie war auffällig, weil sie ein Mädchen und die Hauptperson war und verspielt, furchtlos und unkonventionell lebte. Sie fordertet das Establishment heraus: Erwachsene, Polizisten und die Schule.
Ich persönlich habe mich manchmal über die so brave und gestriegelte Annika, Pippis Freundin, geärgert. Später habe ich eingesehen, dass viele Mädchen so aufgewachsen sind, sie stellte ein „typisches Mädchen“ dar – so, wie sie zumindest damals waren. Es hat mir gefallen, dass Pippi rote Harare hatte, schiefe Zähne, Sommersprossen – mir wurde oft gesagt, dass ich ihr ähnlich schaue.
Pippi hat mir die Erlaubnis erteilt, in meiner Fantasiewelt zu leben, eine Fantasiewelt, die von ihr beeinflusst war: Piraten und Abenteuer. Ich war auf einmal nicht allein damit, „burschikose Spiele und Fantasien“ zu haben. Ich habe die Passagen mit Piraten und Abenteuer geliebt und habe mich als Mädchen mit abenteuerlichen Sehnsüchten dadurch nicht allein gefühlt. Es war ok! Die Lieder, vor allem die bei den Piratenszenen im Film waren für mich wichtiger als schwedische Psalmen (etwas was sonst jeder in Schweden gut kennt). Ich fand das Segeln zu Südseeinseln, den Baum mit Limonaden und Seeräuber spannend. Ich wollte Pirat sein. Ich habe die Filme so oft gesehen, dass ich fast jede Szene aus den Filmen auswendig kann.
Kulturell hat Astrid Lindgren mit all ihren Werken insgesamt viel Bedeutung für mich gehabt und Pippi ist ein Teil dieses Erbes. Kinder stehen im Mittelpunkt, das Einmalige im Kind, das Recht darauf, Kind zu sein. Kinder sind in Astrid Lindgrens Welt Protagonisten, Erwachsene, vor allem in den Pippibüchern, sind nur am Rande dabei. Das Kind steht im Zentrum, und die Tatsache, dass es nichts Böses in einem Kind gibt. Kinder und ihre Spielereien, die Welt aus Kinderaugen betrachtet ist der Fokus. Die Texte sind aus der Sicht der Kinder formuliert, so wie Kinder die Welt erleben. Pippis Vater, der als einziger richtiger Erwachsene eine dauerhafte Präsenz in den Büchern hat, ist eine Mischung aus Fantasie und Mensch, denn solche Väter gibt es in Wirklichkeit nicht.
In anderen Ländern sieht man, glaube ich, Pippi eher alleinstehend, für mich als Schwedin war sie Teil von Astrid Lindgrens Welt. Ich frage mich manchmal, wo die Gründe dafür liegen, dass z.B. Pippi Langstrumpf im deutschsprachigen Raum so beliebt ist und in Russland habe ich gehört, dass „Karlsson vom Dach“ ein „Hit“ ist.
Mit meinen eigenen drei Kindern habe ich dann Pippi Langstrumpf noch einmal von einer anderen Perspektive – als Mutter erlebt.
Faszinierend finde ich, dass Pippi nach wie vor relevant ist, nach 75 Jahren ist es noch wichtig hervorzuheben, dass Mädchen auch „verrückt“, ungehemmt, lustig, furchtlos, unkonventionell sein dürfen und nicht immer brav sein müssen.
Die Erziehung von Mädchen und Buben ist oft, auch heute noch, sehr geschlechtsspezifisch“.