ALBERTINA Ausstellung: DIE WIENER BOHÈME – Werke der Hagengesellschaft

Maximilian Lenz / Wiener Straßenszene, um 1897 / 13 x 28,1 cm, Aquarell, Deckfarben und schwarze Tinte auf Papier / ALBERTINA, Wien / © Foto: ALBERTINA, Wien

25.7. – 12.10.2025

Die Hagengesellschaft: Wegbereiterin der Wiener Avantgarde

Die Hagengesellschaft war Wegbereiterin der zwei wichtigsten österreichischen Künstlervereinigungen, Secession und Hagenbund, und ist dennoch heute nur wenigen bekannt.

Ab 1880 traf sich diese Gruppe regelmäßig in der Gumpendorfer Straße im Café Sperl und im Blauen Freihaus, dessen Wirt Josef Haagen namensgebend für die Ha(a)gengesellschaft wurde. Die Mitglieder – darunter Künstler, Architekten, Musiker, Komponisten, Forscher, Journalisten und Beamte – verband eine weltoffene Haltung gegenüber dem Geist der Moderne. Obwohl sie keine offizielle Institution bildeten, waren sie Wegbereiter der beiden bedeutendsten Reformbewegungen der Wiener Kunstszene: Vierzehn Mitglieder zählten zu den Gründern der Wiener Secession im Jahr 1897, viele weitere formierten 1900 den Hagenbund.

Im Jahr 1905 schenkte die Hagengesellschaft der Albertina über 800 Zeichnungen – ein Akt, der von künstlerischem Selbstbewusstsein zeugt. Das Konvolut stellt ein bedeutendes Zeitdokument eines außergewöhnlichen Netzwerks dar. Wien um 1900: Kaffeehauskultur zeichnet Kunstgeschichte Die Kaffeehauskultur wird meist mit Literatur assoziiert. Im Wien des 19. Jahrhunderts war sie aber gleichermaßen Zentrum für Künstler, Schauspieler und Musiker: der Hagengesellschaft wurde das Café zur kreativen Heimat. Im Café Sperl, ihrer wichtigsten Wirkstätte, entstanden unzählige Zeichnungen: spontane Skizzen, Porträts, Karikaturen, Scherzbilder und groteske Alltagsszenen.

Zunächst direkt auf Marmortische gezeichnet und später weggewischt, brachte der Maler Ernst Stöhr 1888 Papier mit, sodass die Zeichnungen gesammelt werden konnten. Ab diesem Zeitpunkt wurden sie in einer vom Cafetier bereitgestellten Mappe aufbewahrt – die meisten davon gelangten später in die Albertina.

Die so entstandenen Blätter sind Momentaufnahmen aus dem Leben der Künstler: Sie zeigen die Runde beim Zeitunglesen, Diskutieren oder in stiller Beobachtung. Besondere Beliebtheit hatten humorvolle Motto-Zeichenwettbewerbe, bei denen in 20 Minuten Skizzen angefertigt wurden. Bewertet von einer Jury aus den eigenen Reihen, erhielten die Sieger Naturalien als Preise: Kaffee, Kipferl oder Schnaps. So verband sich das Alltägliche mit dem Künstlerischen – ein feiner Ausdruck Wiener Lebenskunst.

Johann Victor Krämer / Mitglieder der Hagengesellschaft, 1886/87 / 9,9 x 15,4 cm, / Albuminpapier / ALBERTINA, Wien / © Foto: ALBERTINA, Wien

Vielfalt als Stärke: Freundschaft, Ironie und Selbstinszenierung

Die Hagengesellschaft war kein Verein mit Statuten – sie war ein Kreis Gleichgesinnter, getragen von Freundschaft, Humor und gegenseitiger Inspiration. Rund fünfzig Mitglieder trafen sich regelmäßig, zahlreiche weitere stießen sporadisch hinzu. Karikatur war zentrales Ausdrucksmittel: Die Mitglieder porträtierten sich gegenseitig in liebevoll-ironischer Übertreibung – kleine Körper wurden rundlich, große Nasen betont, charakterliche Eigenheiten zugespitzt. Familienbande verstärkten das Netzwerk: Josef Engelhart war der Schwager von Kolo Moser, Ferdinand Schirnböck verschwägert mit Paul Wittgenstein, Gustav Frank ein Cousin Gustav Mahlers.

Maximilian Lenz / Studienreise in Taormina, um 1894 / 30,9 x 22,3 cm, Aquarell, Deckfarben und Tinte auf Papier / ALBERTINA, Wien / © Foto: ALBERTINA, Wien

Impulse für die Moderne: Von Ver Sacrum und der Secession zum Hagenbund

Der Einfluss der Hagengesellschaft auf die Wiener Kunstgeschichte war tiefgreifend. In der 1898 gegründeten Zeitschrift Ver Sacrum, dem Organ der Secession, erschienen zahlreiche Zeichnungen aus den Mappen der Hagengesellschaft – über fünfzig Werke wurden publiziert. Die dort vertretene künstlerische Handschrift – zwischen Witz, Ornamentik, Fantasie und kritischer Beobachtung – prägte das Erscheinungsbild des Wiener Jugendstils entscheidend mit. Auch die Gründung der Wiener Secession ist ohne Hagengesellschaft kaum denkbar. Frustriert vom Konservativismus des Künstlerhauses, versammelten sich ab 1893 progressive Kräfte, viele davon Mitglieder der Hagengesellschaft und des Künstlerhauses, darunter Klimt und Moser.

Die Diskussionen mündeten 1897 in die Gründung der Secession im Hotel Victoria. Als einige Mitglieder der Hagengesellschaft dort jedoch keinen Platz fanden, bildete sich 1900 der Hagenbund, der zur zweiten tragenden Institution der Moderne in Wien wurde. Beide Vereinigungen verband eine enge, bis heute spürbare Verbindung zur offenen, humorvollen Haltung der Hagengesellschaft. Man traf sich auch weiterhin und bis ins hohe Alter regelmäßig.

 

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