Neujahrsempfang von Bundespräsident Van der Bellen für das Diplomatische Corps fand wieder virtuell statt

Der traditionelle Neujahrsempfang von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Ehren des Diplomatischen Corps in der österreichischen Hauptstadt wurde pandemiebedingt zum zweiten Mal in Folge virtuell abgehalten.

So folgten am 20. Januar zahlreiche Diplomaten – anstatt persönlich im wunderschönen Zeremoniensaal der Hofburg – dem traditionellen Empfang über das Internet.

Die Neujahrsglückwünsche des Diplomatischen Corps wurden wieder vom Doyen und rangältesten Mitglied, S.E. Erzbischof Pedro López Quintana, Vertreter des Heiligen Stuhls, an den Bundespräsidenten überbracht, dann folgte die Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich des Neujahrsempfangs per Live-Stream an das Diplomatische Corps.

Die Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor dem Diplomatischen Corps anlässlich des virtuellen Neujahrsempfangs 2022:

Hochwürdigster Herr Nuntius! Exzellenzen!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Schon letztes Jahr konnte ich Ihnen die Grüße und Glückwünsche zum Neuen Jahr nicht persönlich überbringen – und wer von uns hätte gedacht, dass sich dieses Szenario heuer wiederholen würde.

Aber es ist eben so, und daher übermittle ich Ihnen heute erneut auf diesem Wege meinen Dank und meine Glückwünsche zum Neuen Jahr.

Ihnen, Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius, danke ich herzlich für die Neujahrswünsche, die Sie namens des Diplomatischen Corps überbracht haben.

Die COVID-19-Pandemie hat sich über alle Ereignisse des abgelaufenen Jahres gelegt wie eine schwere Decke, die man nicht abschütteln kann.

Je länger dieser Ausnahmezustand anhält – wieder ein Lockdown und noch einer – desto deutlicher machen sich Gräben in unseren Gemeinschaften – national und international – bemerkbar.

Und ein Ende von Corona ist noch nicht in Sicht. Denn gerade als wir dachten, wir hätten das Schlimmste hinter uns, kam Omikron um die Ecke.

Und ehrlicherweise wissen wir nicht wirklich, was uns die nächsten Wochen, ja die nächsten Tage diesbezüglich bringen werden.

Und trotzdem:

„Wir dürfen den Mut nicht verlieren.“

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Wir haben die Impfung – und nicht nur in Österreich, sondern auch weltweit zeigt sich, dass diese eine wirkungsvolle Antwort auf das Virus ist.

Während wir jedoch vor allem in den Ländern des globalen Nordens in der glücklichen Situation sind, bereits Auffrischungsimpfungen verabreichen zu können, herrscht in vielen Teilen der Welt weiterhin ein hoher Bedarf an Impfstoffen.

Deshalb gilt mehr denn je: Internationale Solidarität ist entscheidend. In der EU haben wir kürzlich ein Spendenziel in der Höhe von weltweit 700 Millionen Impfdosen bis Mitte 2022 beschlossen.

Österreich wird sich daran aktiv beteiligen und hat bisher bereits mehr als drei Millionen Impfdosen an Partnerländer und besonders bedürftige Drittstaaten bereitgestellt.

Meine Damen und Herren!

Sie alle haben während der letzten zwölf Monate weiter aktive Diplomatie unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie betrieben und dabei einige Schwierigkeiten zu meistern gehabt.

Für Ihr ungebrochenes Engagement, die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Ihren Ländern trotz allem weiter zu pflegen, danke ich Ihnen sehr.

Österreich ist sich seiner besonderen Rolle als Gastland zahlreicher Diplomatischer Missionen sowie internationaler Organisationen und Einrichtungen bewusst.

Die Mitglieder der Internationalen Gemeinschaft in Österreich wurden daher bereits frühzeitig bei den nationalen Impfmaßnahmen mitberücksichtigt – und werden es auch jetzt – bei der Stärkung des Impfschutzes durch Auffrischungsimpfungen.

Ein nicht weniger dringendes Thema ist die Klimakrise. Auch wenn sie durch die COVID-19-Pandemie in unserer Wahrnehmung etwas nach hinten gerückt ist.

Die Warnungen der Klimawissenschaft werden immer drängender: Extremwetterlagen und Unwetter werden häufiger und ihre Intensität nimmt zu. Die Klimakrise ist wohl die größte Herausforderung, vor die sich die Menschheit je gestellt sah.

Die schlimmsten Folgen der Klimakrise können wir noch verhindern, indem wir die Erderwärmung unter 1.5 Grad Celsius halten, wie im Pariser Übereinkommen vereinbart. Dieses Ziel wurde erst kürzlich bei der COP26 in Glasgow bekräftigt.

Große Nationen haben sich 2021 dem Kampf gegen die Klimakrise angeschlossen oder haben wichtige Schritte in Richtung Klimaneutralität und Nachhaltigkeit gesetzt. Ein Schulterschluss aller Nationen zeichnet sich ab.

„Aber wir müssen noch mehr vom Versprechen ins Tun kommen!“

Und es ist nicht mehr nur die Jugend, die zu mehr Klimaschutz drängt, sondern auch viele Unternehmen, einschließlich des Finanzsektors, haben erkannt, dass sich die Marktrisken ändern und wir energisch handeln müssen.

Sind wir im Kampf gegen die Treibhausgasemissionen zu langsam, müssen die kommenden Generationen die horrenden Kosten der Erderhitzung tragen.

Wie in der Covid-Pandemie muss die EU auch in der Klimakrise zusammenhalten und international mit gutem Beispiel vorangehen. In Österreich und der EU werden gerade die Weichen dafür gestellt.

Dies soll sozial verträglich geschehen, sowohl national als auch aus globaler Perspektive. Die Länder des globalen Nordens stehen hier besonders in der Verantwortung, aber klar ist auch, dass alle Staaten einen Beitrag werden leisten müssen.

Österreich ist bereit, seinen Anteil beim Kampf gegen die Klimakrise beizutragen. Sie, Exzellenzen, bitte ich, unsere Dialogplattformen und österreichisches Know-how im Klima- und Energiebereich für Ihre Länder zu nutzen.

Gerade die erwähnten Herausforderungen zeigen nur allzu deutlich: Wir können die großen Herausforderungen unserer Zeit nur gemeinsam meistern.

Die UNO und die über vierzig internationalen Organisationen, die in Wien vertreten sind, leisten einen unschätzbaren Mehrwert für Sicherheit, Nachhaltigkeit und Wohlstand in der Welt.

Und wir sind stolz, Wien auch weiterhin als Ort des Dialogs anbieten zu können. So zum Beispiel für die Gespräche zum Nuklearübereinkommen mit dem Iran, Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA die Ende November nach langer Pause wiederaufgenommen werden konnten.

So wie es keine Alternative zum Dialog gibt, so gibt es aus unserer Sicht auch keine Alternative zum JCPOA, und umso wichtiger ist es, zu einem positiven Abschluss der Verhandlungen zu kommen.

Exzellenzen!

Wie Sie wissen, will Österreich auch zusätzliche Verantwortung übernehmen als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Periode 2027/2028.

Dabei hoffen wir natürlich auf Ihre Unterstützung!

Österreich ist auch Sitzstaat der OSZE. Das letzte Jahr hat leider wieder gezeigt, dass Krisen und Konflikte im OSZE-Raum allgegenwärtig sind.

Diese Krisen führen nicht nur zu menschlichem Leid, sie zeigen uns auch auf, wie wichtig es ist, um dauerhafte Lösungen zu ringen.

Es ist schwer hinzunehmen, dass sich in Belarus keinerlei Lösung abzeichnet, weder ein Ende der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der politischen Opposition, noch der Beginn eines nationalen Dialogs.

Was die angespannte Lage zwischen der Ukraine und Russland betrifft, so sind De-Eskalation und ein pragmatischer und konstruktiver Dialog das oberste Gebot.

Besorgniserregend ist auch die zunehmende Erosion unserer Errungenschaften bei den Menschenrechten, bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft liegt es an uns, diese Grundfesten jeder offenen und freien Gesellschaft zu verteidigen.

Exzellenzen!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Sie alle tragen besonders dazu bei, in Zeiten wie diesen Brücken zu bauen.

In Momenten, in denen wir als Staaten und Wertegemeinschaften oft das Gefühl haben, uns zu weit voneinander zu entfernen, ist Ihre Arbeit besonders wichtig.

Sie tragen dazu bei, das gegenseitige Verständnis zu fördern und die internationale Zusammenarbeit zu stärken.

Ich appelliere an Sie, Ihr Engagement aufrechtzuerhalten und Ihren Glauben an das Verbindende zu behalten.  Und ich appelliere an Sie, weiter an einer besseren Zukunft für uns und die nächsten Generationen zu arbeiten.

Ihre Rolle, Ihre Aufgaben, aber auch die Herausforderungen sind im abgelaufenen Jahr nicht kleiner, sondern größer geworden.

Für Ihre wertvolle Arbeit bedanke ich mich nochmals und hoffe, dass wir bald die schwere Decke der Pandemie abschütteln und uns wieder persönlich treffen können.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gutes Neues Jahr, viel Glück und Gesundheit!

Bundespräsident Alexander Van der Bellen: „Sie alle tragen besonders dazu bei, in Zeiten wie diesen Brücken zu bauen« – Neujahrsansprache an das Diplomatische Corps
S.E. Erzbischof Pedro López Quintana, Vertreter des Heiligen Stuhls und Doyen und rangältesten Mitglied des Diplomatischen Korps

(Svetlana Nenadovic Glusac)

Fotos: Peter Lechner/HBF