Aleksandr Potemkin, Leiter der Handelsvertretung Russlands: Die Welt braucht keine Trennung, sondern eine aktive Zusammenarbeit, um aus der Krise rauszukommen

Die Covid-19-Pandemie hat zu beispiellosen Herausforderungen bei den laufenden operativen Aktivitäten der globalen Industrie, dem Handel und der Wirtschaft geführt. Die Weltwirtschaft wurde für mehrere Monate gezwungen, auf die Notbremse zu treten.

Aleksandr Potemkin, Leiter der Handelsvertretung bei der Botschaft der Russischen Föderation in der Republik Österreich

Durch die restriktiven Maßnahmen und den Lockdown,den die Regierungen rund um den Globus durchgeführt haben, wurde die Wirtschaft in einen Winterschlaf versetzt.

Vorsichtig wird die Wirtschaft in jedem Land wieder hochgefahren. Alle Wirtschaftszweige sind von der Krise – ausgelöst vom Coronavirus – davon betroffen, ohne Ausnahme.

Wie hat sich die Krise auf die Weltwirtschaft ausgewirkt und wie sind die Prognosen für die Zukunft? Darüber haben wir mit Wirtschaftsexperten und Vertretern der ausländischen Wirtschaftskammern in Wien, sowie HandelsvertreterInnen aus Handelsabteilungen und Wirtschaftsdelegierten aus der Diplomatie in Österreich gesprochen.

Wir sprachen für Diplomacy and Commerce Austria mit Aleksandr Potemkin, Leiter der Handelsvertretung bei der Botschaft der Russischen Föderation in der Republik Österreich.

Wie schätzen Sie die Lage ein, stehen wir vor einer ernsthaften Krise, die lange andauern wird, oder vor einer raschen Erholung der Wirtschaft?

Die Welt hat angefangen aus der Krise rauszukommen. Die Plätze in Wiener Cafés und Restaurants werden knapp, die touristischen Routen in Österreich beleben sich langsam wieder, die Kunden besuchen aktiv Baumärkte und Gartencenter. Nach der Krise entwickelt sich allmählich der Markt für Konsumgüter und Dienstleistungen, in der nahen Zukunft kommt er aber nicht auf das vorher erreichte Niveau. Es fehlt noch der Strom der ausländischen Touristen. Nicht alle Flugdestinationen sind verfügbar. So, zum Beispiel, können die Touristen aus Russland noch keine Sehenswürdigkeiten von Wien oder Salzburg besichtigen, Nationalparks von Ober- und Niederösterreich, Kärnten, Steiermark und Tirol nicht besuchen oder Vorarlberg und Burgenland näher nicht kennenlernen. Gleichzeitig können auch die österreichischen Touristen Moskau oder die prächtigen Schlösser von Sankt-Petersburg und Peterhof nicht besichtigen. Auch das längste und härteste Ultra-Distanz Radrennen der Welt zwischen Moskau und Wladiwostok – das Red Bull Trans-Siberian Extreme wurde auf 2021 verschoben.

Die Krise hat auch das Verhalten zu Ersparnissen und Investitionen geändert. Diese werden in Bezug auf ihre Relevanz und Zweckmäßigkeit bewertet. Auf solche Weise wird eine Familie noch einmal darüber nachdenken, einen neuen PKW oder Immobilien zu kaufen. Es wird mehr Priorität auf Gesundheit, Sport, Erholung oder Tourismus nach der Quarantäne gelegt. Die europäischen Staaten sind bereit die Privatinvestitionen in Gesundheitswesen, Pharmazeutika, Digitalisierung, Entwicklung des öffentlichen Transports und grüne Technologien gezielt auf Klimaneutralität zu fördern. Die staatliche Unterstützung in Russland ist auch auf die Entwicklung der neuen Technologien und auf Produktion gezielt, inkl. Arzneimittel und Medizinprodukte, Gasantriebssysteme, Förderung der neuen Transportrouten, wie z.B. die Nordostpassage.

Die Quarantäne hat zur Nachfrageverringerung auf Energieträger (Erdöl und Gas) und auch zur Schrumpfung des internationalen Handels geführt. Es wurde sogar die Grenze zwischen Russland und China, den strategischen Partnern, für einige Zeit geschlossen, was Geschäftskontakte eingeschränkt hat. Für die Wiederbelebung der Verhältnisse brauchen wir heute eine vernünftige Koordination zwischen den Regierungen verschiedener Länder, solche Koordination, die wir beim Wiederaufbau von Verkehrsverbindungen, bei der Entwicklung von Geschäftskontakten online oder beim Abbau der Visaeinschränkungen betrachten können.

Die Welt verändert sich und man kann nicht über deren Wiederbelebung im bisherigen Zustand reden. Für die Bildung einer neuen Wirtschaftsstruktur braucht man ein paar Jahre, das heißt, die Rückkehr zum Vorkrisenvolumen des internationalen Handels und zum selben Niveau des Realeinkommens werden wir außerhalb der Grenzen von 2021-2022 sehen.

 

Inwieweit haben die staatlichen Maßnahmen Ihres Landes bisher dazu beigetragen, die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft durch die COVID-19-Pandemie zu verringern?

Das Realeinkommen der russischen Bevölkerung ist niedriger als in westeuropäischen Ländern. Deswegen hat die russische Regierung nach Ausbruch der Pandemie mit Erarbeitung und Realisierung eines Paketes der Sozialmaßnahmen angefangen. Für Familienbeihilfe hat man einen Betrag von umgerechnet 2,6 Mrd. Euro ausgegeben. Der Arbeitslosenfonds wurde um etwa 36 Mrd. Rubel (450 Mio. Euro) aufgestockt und das Arbeitslosengeld wurde verdoppelt. Die Regionen Russlands wurden zusätzlich mit fast 2,5 Mrd. Euro finanziert, weil sie auch für soziale Unterstützung der Bevölkerung zuständig sind.

Die Staaten, die Corona-Einschränkungen früher getroffen haben, haben auch früher begonnen die Unterstützungsmaßnahmen der Wirtschaft einzuführen. In Österreich hat man schon Mitte März das erste Unterstützungspaket verabschiedet. In Russland, wo die Quarantäne später eingeführt wurde, hat man die Unterstützungsmaßnahmen Anfang April vorgestellt. Diese umfassen die Unterstützung der systemrelevanten Unternehmen im Umfang von beinahe 5,5 Mrd. Euro. Weitere 3,8 Mrd. Euro werden den Unternehmen für Kredite für Gehaltszahlung zur Verfügung gestellt. Es wurden auch Stundungen aller Steuern (außer der Umsatzsteuer) und Sozialabgaben für sechs Monate eingeführt. Es sind auch branchenspezifische Maßnahmen vorgesehen.

Der russische Präsident Vladimir Putin führt täglich Besprechungen mit den föderalen Ministern, regionalen Ministerpräsidenten, gesellschaftlichen Vertretern und Unternehmern, mit dem Ziel effiziente Unterstützungsmaßnahmen für die Bevölkerung und der Wirtschaft auszuarbeiten. Am 11. Mai hat unser Land die Erkrankungsspitze erreicht. Im Juni, wie wir hoffen, hat das normale Leben wieder angefangen.

Der Wirtschaftssektor öffnet und erholt sich ebenfalls langsam. Wie schätzen Sie die Entwicklung in Ihrem Land ein, und wie auf Globaler Ebene?

Laut Angaben des Wirtschaftsministeriums Russlands wird die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 5% schrumpfen. Man erwartet eine Reduzierung der Konsum- als auch der Investitionsnachfrage. 2021 erwarten wir wieder ein Wirtschaftswachstum von 2,8%.

Der Absturz der Weltnachfrage auf Kohlenwasserstoffe ist heute ein wesentlicher Schock für Russland, weil unsere Wirtschaft von Erdöl- und Gasexporten abhängig bleibt. Da unsere Regierung der Regel der Verknüpfung der Staatshaushaltsausgaben an den Erdölpreis folgt, hat man in den letzten Jahren bedeutende Währungsreserven angehäuft, die jetzt für Staatshaushaltsdefizitdeckung verwendet werden können. Deswegen ist das Volumen der inneren Staatsschuld Ende Mai nur um 6% gestiegen und wir haben internationale Märkte für neue Mittelbeschaffung noch nicht benutzt. Somit hat die mehrjährige Erfahrung mit den konjunkturellen Preisschwankungen auf den internationalen Märkten der Kohlenwasserstoffe erlaubt, Russland immun gegen Wirtschaftsschocks zu werden, was Stabilität unserer Wirtschaftspolitik in solchen negativen Situationen gewährleistet.

Die Welt braucht keine Trennung, sondern eine aktive Zusammenarbeit, um aus der Krise rauszukommen. Man muss die Einschränkungen aufheben, sogenannte grüne Korridore schaffen, frei von Handelskriegen und Sanktionen auf gegenseitige Lieferungen von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Lebensmitteln, Maschinen und Technologien. Laut Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G20, verabschiedet am 26 März d.J. während der außerordentlichen Online-Sitzung, haben sich alle Beteiligten auf folgende Vereinbarungen geeinigt, u.a.: gemeinsam gegen die Pandemie des Corona-Virus zu handeln, 5 Bln. USD in die Weltwirtschaft für die Überwindung der Finanzfolgen der Pandemie zu investieren und Maßnahmen zur Unterstützung des freien und stabilen internationalen Handels abzustimmen. Diese Entscheidungen müssen auch in die Tat umgesetzt werden.

Die Erhöhung der Chancen für die Eröffnung der neuen Wachstumsstellen im Außenhandel sowie für die Steigerung der ausländischen Direktinvestitionen wird die Entwicklung der bilateralen internationalen Beziehungen und die Umstellung der wichtigsten Entscheidungen im Bereich der Wirtschaftspolitik auf das multilaterale Format dienen.

Experten auf der ganzen Welt machen verschiedene Ankündigungen über die zukünftige Szenarien  dieser Pandemie, von der Behauptung, dass im Herbst eine zweite Welle erwartet wird, bis zur Behauptung, dass es überhaupt keine zweite Welle geben wird. Bereiten Sie sich auf beide Szenarien vor und was passiert, wenn das, was alle befürchten, ein neuer Lockdown erneut eintritt? Wird es zusätzlich Maßnahmen geben?

Russland besitzt große Erfahrung im Kampf gegen Epidemien, die in der ganzen Welt verwendet werden kann. So haben wir als Erbe der UdSSR einen effektiven hygienisch-epidemiologischen Dienst bekommen, der Epidemien von Typhus, Scharlach, Masern, Pocken und Tuberkulose in unserem Land besiegt hat.

Aufgrund dieser Erfahrung haben wir unsere Wirtschaft auf den Kampf gegen Corona ausgerichtet. Die Produktion von Beatmungsgeräten, Antiseptika und personellen Schutzmitteln wurde erhöht, neue Krankenhäuser wurden gebaut. Infolge dessen hat man das ganze Wirtschaftssystem und Gesundheitswesen umgestaltet. Wir haben unseren eigenen Bedarf an Schutzmitteln gedeckt, jetzt werden Schutzmittel ins Ausland geliefert.

Am 1. Juni 2020 hat das russische Gesundheitsministerium das neue Medikament Avifavir mit der direkten Wirkung gegen das neuen Virus zugelassen. Weltweit gibt es nur zwei dieser Art: Avifavir in Russland (Tabletten) und Remdesivir des amerikanischen Unternehmens Gilead Sciences (intravenöse Injektion). Diese Medikamente werden von 4 Ländern produziert: Russland, der USA, Japan und China.

Ende Mai haben die russischen Forscher an der Entwicklung von 47 Impfstoffen gegen Corona, basierent auf 14 verschiedenen Plattformen, gearbeitet. Die klinische Erprobung des Impfstoffes des russischen N.F. Gamaleya-Forschungszentrums für Epidemiologie und Mikrobiologie hat vor kurzem im Burdenko-Spital in Moskau angefangen.

Wir wissen, dass Impfstoffe gegen COVID-19 in der ganzen Welt entwickelt werden, und wir sind bereit zusammenzuarbeiten. Als Ergebnis muss der beste Impfstoff in Produktion kommen.

Die Weltgesundheitsorganisation betont, dass der Coronavirus sich bis jetzt noch schnell verbreitet. Am 21. Juni hat man einen Tages-Negativrekord bei COVID-Neuerkrankungen verzeichnet. Die Pandemie erreicht noch nicht berührte Regionen. Nichtdestotrotz werden die Gegenmittel vielfältiger und effektiver, Staaten stehen an der Entwicklung eines Impfstoffes. Wir hoffen, dass die Welt bald die Corona-Spitze erreicht und auch imstande sein wird, Krankheitsrezidiv auszuweichen. Russland tut dafür alles Machbare!

(Svetlana Nenadovic-Glusac)