Es gibt viele Assoziationen, die klar Japan zuzuordnen sind und die einfach zum Image des Landes der aufgehenden Sonne gehören: Ikebana, die Kunst des Blumensteckens, die Sumo-Ringer, der heilige Berg Fujiyama, die Teezeremonie, Frauen im Kimono und auch die Kalligraphie, also die Kunst des Schönschreibens ist ein Teil des weltbekannten Images von Japan.
Die Kalligraphie, japanisch “shodō”, was wörtlich “Weg des Schreibens” oder “Weg der Schrift” bedeutet, gehört zu den traditionellen Künste Japans.
“Kalligraphie in Zeit und Gesellschaft – zwischen Japan und Österreich” war das Thema eines Vortrages und einer Präsentation, veranstaltet von der Japanischen Botschaft in Wien in Zusammenarbeit mit dem Stift Klosterneuburg am 8.September 2022 in der prunkvollen Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg.
Der Ort war mit viel Bedacht gewählt, hat doch Klosterneuburg eine ganz besondere Bedeutung in der mittlerweile mehr als 150jährigen Beziehungsgeschichte zwischen beiden Ländern. Nach einem Japan-Besuch des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand im Jahr 1893 schickte der japanische Kaiser einen jungen Prinzen auf Gegenbesuch nach Wien. In Wien wurde er begeistert aufgenommen und der Kaiser empfahl ihm den Besuch von Klosterneuburg, dort kredenzte man ihm auch den eigenen Stiftswein. Das sollte zur Tradition werden, noch heute exportiert das Stift den exzellenten Wein an das japanische Kaiserhaus.
Die beiden Veranstalter, S.E. Akira Mizutani, Botschafter Japans und Dr.Nicolaus Buhlmann, Kustos des Stiftes Klosterneuburg, konnten zahlreiche Gäste aus Diplomatie und Kultur begrüßen. Vortragende war Frau Dr. Noriko Brandl, Präsidentin der Österreichisch-japanischen Gesellschaft und eine profunde Kennerin der japanischen Kunst und Kultur. Frau Dr.Brandl spannte den Bogen von der Entstehung der japanischen Schrift über die Entwicklung und Bedeutung der Kalligraphie bis hin zur Etablierung als Kulturerbe von Weltrang.
Aber was macht eigentlich die Faszination der japanischen Kalligraphie aus? Ein kurzer geschichtlicher Rückblick:
Da den Japanern ein eigenes Schriftsystem fehlte, wurden die chinesischen Kanji-Schriftzeichen vor circa 1.500 Jahren in die japanische Schrift übernommen und adaptiert und bildeten mit den beiden japanischen Silbenalphabeten hiragana und katakana zusammen das komplizierte japanische Schriftsystem.
Japanische Schriftzeichen können sowohl in Spalten von oben nach unten geschrieben werden, wobei die Spalten von links anfangen, oder horizontal von links nach rechts wie im Deutschen. Aus diesem Grund muß man manche Bücher in Japan von rechts aufschlagen, andere von links.
Die Silbe “do” steht im japanischen Kulturkreis stets für einen “Weg”, den jemand im Leben beschreitet und häufig wird damit eine bestimmte Tätigkeit vorangestellt. Man kennt die Kanji Schriftzeichen, die für die japanische Sprache typisch sind. Sie sind für Japaner aber weit mehr als einfache Buchstaben. Es ist also wenig verwunderlich, daß das Schreiben der Kanji zu einer echten Kunst erhoben wurde.
Die japanische Kalligraphie unterscheidet sich aber nicht nur durch die fremdartigen Kanji-Zeichen von der europäischen Kalligraphie, bei der es heute in erster Linie um eine Schönschrift für besondere Anlässe geht. Sie dient als Schriftkunst sogar der Meditation und wird als solche nach exakten Vorgaben durchgeführt. Wichtig ist am Ende weniger, daß das Kanji-Schriftzeichen schön aussieht, sondern daß die Ausführung mit den exakt vorgegebenen Bewegungen geschieht. Ein Shodo Meister drückt mit der Kalligraphie Schrift also nicht nur ein Wort oder einen Begriff aus, sondern auch seine geistige Haltung zu dem Zeitpunkt, als er das Kanji Zeichen niederschreibt.
Es geht bei der japanischen Kalligraphie also nicht unbedingt um die Vermittlung einer Botschaft durch die Bedeutung der Schriftzeichen alleine, sondern auch um den Zusammenhang mit der künstlerischen Schöpfungskraft, die der Kalligraphie-Schrift zugrunde liegt. Damit auch wirklich der Moment des Schaffens unverfälscht festgehalten werden kann, verwendet man im Shodo eigens für diesen Zweck erfundene Kalligraphiepinsel, die in der Regel aus Tierhaaren und einem Griff aus Bambus bestehen und eine entsprechende Tusche, japanisch Sumi genannt, die vor jedem Gebrauch mithilfe eines Tuschereibsteins (Suzuri) angemischt wird. Verwendet wird nur schwarze Tusche, während der Namensstempel (hanko) mit roter Stempelfarbe unter die fertige Arbeit gesetzt wird. So wie das Schwert eine Erweiterung des Körpers für den Schwertkämpfer ist, stellt der Kalligraphie-Pinsel die Erweiterung der Hand im Shodo dar. Einmal zu Papier gebracht, kann eine Bewegung nicht mehr ungeschehen gemacht werden, denn Korrekturen sind weder möglich noch vorgesehen. Somit erlangt jeder Strich und jeder Schwung eines Kanji-Zeichen besondere Bedeutung durch die individuellen Noten des Shodo-Meisters.
Von der Kalligraphie soll aber auch eine meditative Wirkung auf den Künstler ausgehen. Auch deshalb bevorzugen die meisten Shodo Künstler das eigenhändige Anmischen ihrer Sumi-Tusche. Es ist für sie weniger eine Notwendigkeit als vielmehr eine Vorbereitung des Geistes auf die bevorstehende Aufgabe, also die Erschaffung eines einmaligen und ganz besonderen Schriftzeichens auf dem leeren Papier. Außerdem ermöglicht das Anmischen dem Künstler, seine japanischen Kanji auch von der Konsistenz der Tusche her genauso abzubilden, wie er es sich in diesem Moment wünscht.
Der Hauptunterschied zur Entwicklung der chinesischen Kalligrafie liegt darin, daß es in Japan keine eigene Schicht von Literaten-Beamten gab und die Kalligrafie stattdessen von Höflingen in Heian-kyō, von buddhistischen Mönchen und später von Samurai-Beamten praktiziert wurde. Der feingliedrige, präzise Stil der Literaten unterschied sich stark vom impulsiven, minimalistischen Stil der Samurai. Die japanische Kalligrafie ist eng mit den Prinzipien des Zen-Buddhismus verbunden und war als Kunstform in Japan immer hoch angesehen.
Mit ihrer schlichten Schönheit faszinieren die Werke japanischer Kalligrafie immer mehr Menschen auf der ganzen Welt. Die mit tiefschwarzer Tusche auf zartes Japanpapier geschriebenen Schriftzeichen strahlen Ruhe und Harmonie aus. So haben all diese japanischen Künste gemeinsam, daß es nicht um das fertige Produkt geht, sondern um den Geisteszustand, der bei deren Ausübung erreicht werden soll und dazu zählen Disziplin, Ruhe und Harmonie. Der Schlüssel zur wahren Kalligraphiekunst sei es, den Geist und die Seele in das Werk einzubringen und mit dem Herzen zu schreiben, sonst ist es bedeutungslos.
Japan hat in jeder Hinsicht viel zu bieten, aber die Kalligraphie übt sicher eine ganz besondere Ausstrahlung aus.
Text: Hermann Kroiher
Fotos: © H. Kroiher